Ein zunächst befremdlicher Archi-
tekturstil, vor dem ich hier stehe,
mitten in Barcelona. Staunend
betrachte ich die Gebäude dieser
Stadt, ihre Parkanlagen und Gärten.
Ich bin bewegt, beeindruckt, kann
mich nicht sattsehen an dieser un-
gewöhnlichen und zugleich faszinie-
renden Architektur, die mich völlig in
ihren Bann zieht. Es ist keine Stadt
wie New York, Paris, London oder
Berlin. Diese Stadt hat ihren eige-
nen eigenwilligen Charme, geprägt
durch einen außer- und ungewöhn-
lichen Künstler. Ein Schöpfer der
bildgebenden Kunst: Antonio Gaudí
(1852 – 1926). Durch ein rheumati-
sches Leiden ans Haus gebunden,
verlief seine Kindheit einsam. Er war
ein Einzelgänger, die Natur war sein
Verbündeter. Sein dreidimensiona-
les, geometrisches Denken wurde
durch seinen Vater geprägt, einen
Kupferschmied, dessen wichtigstes
Postulat lautete: „Mit jedem Mittel-
punkt und Abstand kann man einen
Kreis zeichnen.“ Das spiegelt sich
in den Werken Gaudís wider. Seine
Liebe zum Detail, zu Schönheit und
Ästhetik sind bis heute in Barcelona
allgegenwärtig. Verspielte Rundun-
gen, gepaart mit der Natürlichkeit
der Bewegungen, machen seine
Deckenkonstruktionen und Frei-
treppen unverwechselbar. Mit ihm
brach eine neue Ära in der Kunst an,
der ‚Modernisme‘. Dabei handelt es
sich um eine perfektionierte Archi-
tektur des Jugendstils, der um 1885
bis1920 in Katalonien neu kreiert
und etabliert wurde. Die Zeugnisse
dieses einzigartigen Baustils lassen
sich in Barcelona bis heute bewun-
dern. Sie bilden einen Kontrapunkt
zu den damaligen, traditionellen
Bauwerken des beginnenden in-
dustriellen Zeitalters, die schlicht,
einfach und funktionell sind.
Gaudí liebte seine Werke, er war
von seinen kreativen Leistungen
überzeugt. Das Urteil der Architek-
turschule, an der er sich bewarb,
vernichtete ihn. Seine Professoren
sagten: „Wer weiß, ob wir den Ti-
tel einem Verrückten oder einem
Genie geben.“ Gaudí war zutiefst
verletzt. Einsam und verwahrlost
zog er durch die Stadt, wurde von
einer Straßenbahn erfasst und in
ein Armenkrankenhaus eingeliefert.
Dort erlag er seinen Verletzungen.
Sein berühmtestes Kunstwerk, die
‚Sagrada Familia‘ (Sühnekirche der
Heiligen Familie und Weltkulturerbe
der UNESCO), ist bis heute unvoll-
endet. Als postume Würdigung hat
man den Künstler in ihr beigesetzt.
Dr. Petra Kombächer
Heilig Geist-Krankenhaus
Gaudí und der ‚Modernisme‘
Ein Streifzug durch Barcelona auf den Spuren des Künstlers
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CellitinnenForum 4/2016
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