Ein strahlender Oktobertag im
Herbst 2014. Petra Leinen (53),
Bereichsleitung Hausservice im
Seniorenhaus Heilige Drei Könige,
ahnt nicht, dass sich ihr Leben
an diesem Tag dramatisch und
schmerzhaft ändern wird. Zuhause
in Bornheim verabredet sie mit ih-
rem jüngsten Sohn Martin (25), ihm,
nach einem Besuch im Friedwald
bei ihrer verstorbenen Freundin Ka-
rin, beim Verkauf seines Motorrads
zu helfen. Der Sohn drückt sie noch
beim Verabschieden und sagt: „Sei
stark! Karin geht es jetzt gut.“ Sie
drückt ihn an sich, und antwortet:
„Ich hab dich lieb.“
Auf demRückweg von Münstereifel
nach Bornheimmuss sie einen Um-
weg fahren, weil in Höhe Brenig ein
Flüchtlinge waren dem Ertrinken
nahe – da kam Hilfe. Rupert Neu-
deck kreuzte mit der Cap Anamur
vor der Küste und rettete die Fa-
milie, wie viele andere, vor dem
sicheren Tod.
Viele Jahre später, 2013, begegnen
sich Dr. Nguyen und sein Lebens-
retter wieder, als Arzt und Patient
in der Kardiologie des St. Vinzenz-
Hospitals. Das Herz des unermüd-
lichen Menschenrechtsverfechters
ist geschwächt. Am 31. Mai 2016
hat es aufgehört zu schlagen. In
den Herzen vieler Vietnamesen wird
Rupert Neudeck weiterleben.
Dr. Nguyen, erzählen Sie uns von
der Begegnung mit Rupert Neu-
deck! Wie war es, Ihren Lebens-
retter nach so vielen Jahren wieder-
zusehen?
Ich habe Rupert Neudeck schon
öfter gesehen. Er war immer ein
gern gesehener Gast bei unseren
vietnamesischen Festen, wie bei-
spielsweise unserem Neujahrsfest.
Aber da war ich einer von vielen
und habe ihn nur aus sehr weiter
Ferne gesehen. Richtig kennenge-
lernt habe ich ihn erst, als er 2013
zur Behandlung in unsere Klinik
kam.
Waren Sie bei der Behandlung auf-
geregt?
Rupert Neudeckwar und ist für mich
ein ganz besonderer Mensch, mein
geistiger Vater und unser aller Vor-
bild. Ohne ihn wäre ich nicht mehr
am Leben. Ihm habe ich zu ver-
danken, dass ich heute in Deutsch-
land bin und auch Menschen helfen
kann. Natürlich ist man dann erst
aufgeregt, aber bei der Behandlung
selbst überwiegt die Konzentration
auf die Arbeit. Getreu dem Motto
von Rupert: Einfach machen, ohne
viel Aufheben, einfach tun, was zu
tun ist.
Sie haben eine enge Bindung zu
Vietnam und fahren mindestens
einmal im Jahr hin, um den wis-
senschaftlich-medizinischen Aus-
tausch zu pflegen. Ende 2014 hat
Sie neben Chefarzt Dr. Wolfgang
Fehske auch Rupert Neudeck
begleitet. Wie war es für Sie, mit
ihm gemeinsam nach Vietnam zu
reisen?
Das war natürlich aufregend, mit
meinem Lebensretter in die Heimat
zurückzukehren. Er hatte großes
Interesse daran, uns zu begleiten
und nach 35 Jahren wieder in das
Land zu reisen, um dort zu erle-
ben, wie es den Vietnamesen heute
geht. Wir besuchten eine Kranken-
station imMekong-Delta, die durch
die Grünhelme, eine humanitäre
Organisation, die Rupert Neudeck
gegründet hat und deren Vorsit-
zender er bis 2013 war, errichtet
wurde. Diese Station gewährleistet
die medizinische Basisversorgung
in der Region. Ich bin froh, dass wir
diese gemeinsame Reise gemacht
haben. Nach seinem Tod komme
ich mir, gemeinsam mit den vielen
Menschen, die Rupert Neudeck be-
gegnet sind und seine einzigartige
stets hilfsbereite kompromisslose
humanitäre Persönlichkeit ken-
nengelernt haben, einsam vor. Wir
haben unseren geistigen Vater und
unser Vorbild verloren. Rupert wird
uns allen fehlen, seine Begeiste-
rungsfähigkeit, seine Geradlinigkeit,
sein Langmut, seine Selbstlosig-
keit. Er wird immer einen Platz in
unserem Herzen einnehmen.
Herzschmerz
Wir werden nicht gefragt, wann wir Abschied nehmen müssen
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CellitinnenForum 3/2016
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