
GOLF TIME
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2-2017
51
„Wie lange warst du in der Army?“, wollte ich
nach den ersten beiden Löchern, die er mit
einem Par und einem Birdie gegen meine bei-
den Bogeys gewonnen hatte, von ihm wissen.
„Ich hatte mich nach dem College für zehn
Jahre verpflichtet. Ich wollte unbedingt nach
Fort Hamilton, wo mein alter Herr gedient
hat“, antwortete Rick.
„Hat dein Vater nie Golf gespielt?“, wollte
ich wissen.
„Er hat es gehasst. 1972 lud ihn ein Offi-
zier nach Dyker ein, um ihm Golf schmack-
haft zu machen. Doch als er dort vorfuhr,
erklärte ihm der Mann an der Schranke, dass
sein Name auf einer Liste unerwünschter
Personen stehen würde. Dad war außer sich
vor Wut und fuhr davon. Später stellte sich
heraus, dass der Sicherheitsmann wohl von
jemandem bestochen worden war, meinen
Vater an der Einfahrt zu hindern. Wer und
warum dies geschah, wurde nie geklärt. Doch
Dad wollte daraufhin mit Golf nichts mehr zu
tun haben. Er sagte immer, er sei stolz, dass
seine Füße nicht für eine Sekunde den Boden
des Golfplatzes berührt hätten.“
„Warum hast du erst 2006 mit Golf angefan-
gen?“, fragte ich Rick, als wir vom Abschlag
der achten Spielbahn zu unseren Bällen
schritten.
„Keine Ahnung. Ich hatte weder die Gele-
genheit noch die Zeit oder das Geld, Golf zu
spielen. Trotzdem war Golf schon immer ein
Teil von mir. Mein ganzes Leben hatte ich
immer das Gefühl gehabt, ich sei irgendwie
nicht vollständig. Verstehst du, was ichmeine?“
In dieser Welt gab es wahrscheinlich keinen
anderen Menschen, der so genau verstehen
konnte wie ich, was Rick damit meinte.
„Weder die Army noch die Familie konnten
diese namenlose Leere, diese mir unerklär-
liche Sehnsucht kompensieren. Irgendwann
habe ich angefangen, Golf im Fernsehen zu
verfolgen. Obwohl mich die Spieler und all das
anfangs gar nicht wirklich interessiert haben,
verspürte ich dabei immer ein seltsames
Kribbeln, als würde ich unter Strom stehen.“
Ich lauschte gebannt seinen Worten und hatte
alles um mich herum ausgeblendet. Mit einer
Geste deutete Rick mir an, dass ich meinen
Ball spielen sollte. Nachdem ich mit einem
Holz 3 einen dem Grün vorgelagerten Bun-
ker des Par-5-Loches mittig getroffen hatte,
sprach Rick weiter: „Aber erst als Dad 2006
gestorben ist, habe ich mich spontan ins Auto
gesetzt und bin zu einer öffentlichen Driving
Range gefahren, wo ich erstmals einen Golf-
schläger geschwungen habe. Schon nach dem
ersten Schwung fühlte ich mich im wahrsten
Sinne des Wortes schlagartig komplettiert.“
Rick schlug ein perfektes Eisen 8. Sein Ball
prallte auf dem etwa 150 Meter entfernt lie-
genden Grün auf und blieb nur wenige Hand-
breit vom Loch zum Eagle liegen. Lachend
rief er: „Oh nein, Dad wäre nicht begeistert.“
„Wie schnell wurdest du richtig gut?“,
hakte ich nach.
„Unglaublich schnell, meinte mein Golf-
lehrer. Es war, als würde Golf regelrecht aus
mir herausbrechen. Ich spielte schon drei
Monate nach dem ersten Schwung regel-
mäßig niedrige 80er-Runden. 2008 kam ich
bei Handicap null an, heute rangiere ich bei
+6, aber ich glaube, da geht noch mehr.“
„Hattest du je Probleme mit dem Rücken
oder den Knien“, wollte ich wissen, als er
einen besonders dynamischen Schwung voll-
führte.
Rick schüttelte den Kopf. „Ich habe es nie
übertrieben. Als Kind war ich ziemlich kurz-
sichtig und habe eine Brille oder Kontakt-
linsen getragen. Deshalb kamen American
Football oder Basketball nicht infrage. Nicht
so wie meine Söhne, die mischen bei allem
mit, solange ein Ball rollt.“
„Söhne?“, hakte ich sofort nach. „Wie viele
Kinder hast du?“
„Fünf Jungs und nun endlich die ersehnte
Tochter“, lachte Rick. „Thelma kann ver-
dammt hartnäckig sein. Sie wollte eine
Louise, egal wie lange es dauert.“
Ricks Drives reduzierten den über 6.000
Meter langen Platz zu einer Pitch & Putt-
Wiese. Wenn ich zu einem Holz 3 oder zu
einem Rescue-Schläger greifen musste, um
den Ball in die Nähe der Fahne zu schlagen,
benötigte er kaum mehr als ein Eisen 9 oder
ein Wedge. Nach elf Bahnen, einem Eagle und
fünf Birdies (davon drei in Folge), lag ich in
unserem Match vier Punkte zurück.
„Bereust du es, dass du mit deinem Talent
nicht schon als Kind mit Golf angefangen
hast?“ fragte ich. „Du könntest auf der Tour
spielen und Millionär sein.“
„Und leben müssen wie Phil Mickelson?“,
gab Rick lachend zurück. „17 Majors, drei
Scheidungen und zwei Bandscheibenvorfälle
pro Jahr? Um keinen Preis der Welt. Mann,
ich liebe mein Leben!“
Nach 15 Löchern stand fest, dass ich heute
Ricks Gastgeber an der Bar sein würde. Nach-
dem er mit traumwandlerischer Sicherheit
einen Putt zu seinem siebten Birdie des Tages
gelocht hatte, gratulierte ich ihm zu seinem
Sieg.
„Ich habe mich gefragt, warum du bei all
deinen außergewöhnlichen Namen ausge-
rechnet Rick genannt wirst?“, fragte ich ihn,
als wir bei Louise und Thelma auf der Terrasse
Platz genommen hatten.
Mein Mitspieler war kurz erstaunt über die
Frage, dann wurde ihm wohl bewusst, dass
über ihn als U.S.-Amateur-Champion ein
mir sicher wohlbekannter Wikipedia-Eintrag
existieren musste.
Doch bevor Rick antworten konnte, ergriff
seine Frau Thelma das Wort: „Ich konnte
mir seinen richtigen Vornamen bei unserem
ersten Date partout nicht merken und habe
ihn schließlich mit Rick abgekürzt.“
„Gott sei Dank nennt sie mich nicht Tont
wie meine Mama“, lachte Rick.
„Aber dein Kindername, den deine Kum-
pel heute noch benutzen, kam für mich nun
wirklich nicht in Frage“, gab Thelma mit
amüsiert-spöttischem
Unterton
zurück.
Dann blickte sie mir direkt in die Augen und
sagte: „Hätte ich ihn so meinen Eltern vor-
stellen sollen? Hi Mum und Dad, das ist mein
neuer Freund, er heißt Tiger Woods.“
GT
ZEITREISEAKTE
A145/12
STARTZEIT:
8. September 2016
ZIELORT:
Fort Hamilton, New York
ZIELZEIT:
23. April 1972
KAPITÄN:
(Vertrauliche Information)
PASSAGIERE:
P. Mickelson, C. DiMarco,
E. Els, C. Montgomerie, S. Garcia
ANMERKUNG:
Ein Passagier (Identität
unbekannt) entfernte sich unbemerkt für
zwei Stunden von der Gruppe.
ANMERKUNG:
Earl Woods war in den Siebzigerjahren in Fort Hamilton als Soldat stationiert. Er verdankt seine
Liebe zum Golf einem Army-Freund, der ihn 1972 einlud, den Sport auf der Anlage des Dyker Beach Park and Golf
Course auszuprobieren. Dank der Begeisterung seines Vaters begann sein Sohn Eldrick Tont „Tiger“ Woods, der 1975
geboren wurde, im zarten Alter von 18 Monaten mit Golf.
In einer Welt ohne Tiger Woods als Golfsuperstar hätte der Gewinn seiner 106 Trophäen sicher zahlreiche Spieler
glücklich gemacht. Vor allem die Karrieren von Phil Mickelson (Nummer 1 der Welt, U.S. Open 2002), Chris DiMarco
(Masters 2005, Open 2006), Ernie Els (U.S. Open & Open 2000), Sergio Garcia (PGA Championship 1999) und Colin
Montgomerie (Open 2005) hätten ohne Tiger Woods wohl einen völlig anderen Verlauf genommen.
ZEITREISEAKTE
A161/23
STARTZEIT:
12. November 2016
ZIELORT:
Fort Hamilton, New York
ZIELZEIT:
23. April 1972
KAPITÄN:
(Vertrauliche Information)
PASSAGIERE:
Keine
ANMERKUNG:
Korrekturmission
(Zeitreiseakte A145/12).
Hauptzeitlinie 12/A1 konnte erfolg-
reich wiederhergestellt werden.