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GOLF TIME
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3-2016
www.golftime.deTRAINING |
SPORTPHYSIO
IM EINKLANG
SEIN
DIE FREUDE AN DER PERFEKTION
Was Golfer von einem Dirigenten lernen können.
J
ede Tätigkeit kann man versuchen,
optimiert durchzuführen. Das gilt für
alle Bereiche des Lebens. Wie man das
angeht wurde, vom kürzlich verstor-
benen Nikolaus Harnoncourt im Bereich der
Musik deutlich ausgesprochen. Er sagte unter
anderem: „… was man wissen kann über ein
Stück, das will ich wissen – und das braucht
Zeit.“ Und in einem Interview schilderte er
sinngemäß, dass er den Musikern erklärt,
worum es geht, denn dann sind sie imstande,
hundert Prozent ihrer Leistung zu bringen.
Diese Einsichten sind in der Musik, in der
Wissenschaft und im Sport gleichermaßen
von Bedeutung. Der Golfsport ist ein vielfälti-
ges Betätigungsfeld, in dem die verschiedens-
ten Anforderungen gestellt werden. Besinnen
wir uns der Aussage von Harnoncourt, dann
ist Wissen essenziell, um eine richtige Vor-
gehensweise zu entwickeln. Wenn wir ver-
stehen, wie in unserem Fall der Golfschwung
funktioniert, dann schaffen wir auch die Vor-
aussetzung, um gute Leistungen zu erbringen.
Schau’n wir uns den Golfschwung unter die-
sem Gesichtspunkt an: Berücksichtigen wir
dabei, dass das Zeit braucht. Suchen wir Per-
fektion. Wir werden feststellen, dass Physik,
Muskelphysiologie und Anatomie Grundvor-
aussetzungen für unsere Überlegungen sind.
Arme und Schläger bilden physikalisch
gesehen ein Doppelpendel. Das Besondere
daran ist jedoch, dass der Aufhängungspunkt
des Pendels beweglich gelagert ist. Die Bewe-
gungsmöglichkeiten dieses Punktes werden
von anatomischen Gegebenheiten beeinflusst.
Der Rhythmus unseres Schwunges wird
maßgeblich von der Schwingungsdauer des
Pendels und von muskulären Eigenschaften
beeinflusst. Unsere Muskulatur wird willent-
lich angespannt, kann jedoch zusätzlich noch
gedehnt werden. Dadurch erhöht sich die
Effizienz des Krafteinsatzes. Inwieweit das
möglich ist, hängt wiederum von den Ge-
lenksstellungen ab. Man hört zwar hin und
wieder von dieser Art des Krafteinsatzes,
jedoch wird nicht geklärt, wann, wo und
unter welchen Umständen dies auch sinnvoll
ist. Dazu muss man zurück zur Aussage von
Harnoncourt, der sagt: „Was man wissen kann,
das will ich wissen – und das braucht Zeit.“
Manchem Leser mag dieser Zugangsweg um-
ständlich und aufwendig erscheinen. Aber
es geht letztendlich darum, eine Bewegung
zu verstehen und diese dann zu erlernen. In
der Schwingung eines Pendels steckt tiefste
Harmonie, wer also mehr machen möchte, als
nur auf einen Ball zu schlagen und dann die
Anzahl der Schläge zusammenzuzählen, der
kann im Golfschwung Erfüllung finden.
Hält man sich vor Augen, dass Harnon-
court viel Zeit aufgewendet hat, um ober-
flächlich betrachtet Kleinigkeiten wie „asai“
und „molto“ besser interpretieren zu können,
dann sollte es für uns sinnvoll sein, sich die
grundlegende Idee der beschleunigten Pen-
delschwingung erklären zu lassen. Es ergeben
sich enorme Unterschiede durch die Verände-
rung kleiner Details. Diese müssen wir jedoch
wissen und erkennen. Damit schaffen wir die
Voraussetzung, um effizient üben zu können.
Mir ist bewusst, dass diese Art der „Anleitung“
sehr theoretisch klingt, jedoch kann man
Bewegungen besser vorführen als beschrei-
ben, man kann den Golfer manches besser
spüren lassen, als zu versuchen, es in Worte
zu kleiden. Deshalb ist häufig mit wenigen
Stunden Erklärung und Fühlen mehr erreicht,
als mit dem Studium zahlreicher Bücher.
Auf diesen Ideen baut „Healthy-Swing“ auf.
Der Schüler bekommt mit einem Kurzvortrag
wichtiges Hintergrundwissen und kann
anschließend selbst spüren, wie sich die opti-
mierte Bewegung anfühlt. So beginnt man
die Bewegung und die physikalischen Effekte
zu verstehen und kann sich in Zukunft selbst
helfen. Der optimale Weg, um eigenständig
effizient trainieren zu können.
GT
DR. CHRISTIAN
HAID
Biomechaniker,
Universitätsklinik
Innsbruck
NIKOLAUS HARNONCOURT
(rechts) und
PHIL MICKELSON
in sehr ähnlicher Pose: Man könnte es als
Hinweis sehen, dass Musik und Golf auf höchstem Niveau sehr viele Gemeinsamkeiten haben