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Viel und kontrovers wurde im Früh-

jahr 2018 über den Einsatz ziviler

Seenotrettung von Flüchtlingen

im Mittelmeer diskutiert. Für das

CellitinnenForum berichtet Merlin

Kötz, Gesundheits- und Kranken-

pfleger auf der Station Orthopädie

und Unfallchirurgie des St. Franzis-

kus-Hospitals in Köln, von seinen

Einsätzen auf dem Rettungsschiff

‚Sea-Watch 3‘. Lesen Sie hier Aus-

züge aus seinem Logbuch 2018.

20.04.2018

Auf Manöverstation! Am Abend lau-

fen wir mit der Sea-Watch 3 aus

dem Hafen von Valetta aus. Unser

Ziel: Die ‚Search and Rescue-Zone,

ein die Küstenlinie entlang laufender

Streifen vor den libyschen Hoheits-

gewässern.

21.04.2018

Auf dem Weg ins Rettungsgebiet

führen wir Übungen mit den soge-

nannten ‚Festrumpfschlauchboo-

ten‘ durch, die, vom Mutterschiff

zu Wasser gelassen, schnell und

wendig die in Seenot Geratenen

erreichen. Wir sind noch sechs

Stunden vom eigentlichen Einsatz-

gebiet entfernt, als der Einsatzleiter

auf die Brücke gerufen wird. Kurz

darauf ändert er den Kurs der Sea-

Watch 3 und gibt Vollgas, dass die

Maschinen dröhnen: Wir sind im

Einsatz! Die Seenotrettungsleitstelle

in Rom hat die Koordinaten eines

Schlauchbootes mit etwa 100 Men-

schen an Bord in 20 Seemeilen

Entfernung gemeldet. Die libysche

Küstenwache sei bereits verstän-

digt und ebenfalls auf dem Weg

dorthin. Deren Rolle ist umstritten.

Seit geraumer Zeit fangen die Pat-

rouillen in oftmals waghalsigen und

fragwürdigen Manövern die Ge-

flüchteten auf ihren maroden Boo-

ten ab, zwingen sie auf ihre Schiffe

und bringen sie zurück nach Libyen.

So ereignete sich zum Beispiel am

6. November 2017 ein Zwischenfall,

bei dem während des Eingreifens

der libyschen Küstenwache, imBei-

sein ziviler Seenotretter und eines

italienischen Marinehelikopters, bis

zu 50 Menschen ertranken. Warum

die Menschen nicht zurückwollen?

Ihnen droht in Libyen ein Leben in

Sammellagern, in denen Misshand-

lungen und Versklavung zur Tages-

ordnung gehören. Das bestätigen

uns auch die an diesem Tag Geret-

teten. Die ‚Rückverbringungen‘ ver-

stoßen gegen das völkerrechtlich

verbriefte ‚Non-refoulment-Gebot‘,

das die Auslieferung von Personen

in Staaten untersagt, in denen ihnen

Folter oder andere schwere Men-

schenrechtsverletzungen drohen.

Die Schnellboote machen sich auf

den Weg. Die Sea-Watch 3 fährt mit

Volldampf hinterher. Die Schlauch-

boot-Crews melden 95 Menschen

an Bord, darunter zahlreiche Frau-

en und zwei Säuglinge. Das Trink-

wasser gehe zur Neige und das

Boot drohe zu kentern. Die See-

notrettungsleitstelle in Rom weist

uns an, lediglich Rettungswesten

auszugeben und auf die libysche

Küstenwache zu warten.

Als diese eintrifft und die Menschen

auf dem Schlauchboot ahnen, dass

SOS auf dem Mittelmeer

Drei Wochen auf hoher See mit der ‚Sea Watch 3‘

Brenzlige Situation, die libysche

Kustenwache (hinten) kommt ...

... viele Flüchtlinge springen bei

deren Ankunft ins Meer

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Idee | Einsatz

CellitinnenForum 4/2018