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SCHWEIZER GEMEINDE 12 l 2014
11
AKTUELL
Föderalismus unter Druck
Die Tendenz zu zentralistischen Lösungen macht nicht nur den Gemeinden zu
schaffen. Entscheide über Leistungen werden immer weniger dort gefällt, wo
die Kosten getragen werden müssen. Das widerspricht der Bundesverfassung.
Es ist eine betriebswirtschaftliche Bin-
senweisheit, dass Mittel und Kompeten-
zen dort vorhanden sein müssen, wo
Aufgaben zu lösen sind. Das war auch
die Idee der letzten Föderalismusreform.
«Doch dieses Prinzip ist in den letzten
Jahren zunehmen verwischt worden»,
sagt Eva Maria Belser, Professorin für
Verfassungsrecht an der Universität Frei-
burg, «die Entscheide über Leistungen
fallen in verschiedenen Bereichen nicht
mehr dort, wo sie bezahlt werden müs-
sen.» Das Prinzip «die Letzten beissen
die Hunde» sei gegen Sinn und Geist der
Verfassung. Probleme seien erst gelöst,
«wenn sie gelöst sind und nicht wenn
man sie an einen anderen Ort verschiebt.
Alt Bundesrat und Justizminister Ar-
nold Koller, der mit dem ersten Födera-
lismuspreis geehrt worden ist, beob-
achtet«dieschleichendeZentralisierung»
ebenfalls. «Die Verlockungen zentralisti-
scher Lösungen sind omnipräsent, sei es
aus Gründen der Gerechtigkeit, der Fi-
nanzierung oder der Effizienz.» Die Prä-
ambel der Bundesverfassung, «Einheit
in derVielfalt zu leben und nicht in einem
Einheitsbrei, ist eine ständige Herausfor-
derung», sagte Koller.
Zum Beispiel Atomausstieg
Es ist beileibe nicht so, dass nur die Ge-
meinden unter der Zentralisierung lei-
den. Auch die Kantone tun es. So be- klagte der Präsident der Konferenz der
Kantonsregierungen KdK, Jean Michel
Cina, dass der Bundesrat, denAtomaus-
stieg in Eigenregie beschlossen habe,
ohne die Kantone auch nur anzuhören.
Obwohl die Kantone von diesem Ent-
scheid massiv betroffen sind.
Ohne Gemeinden keine Chance
Cina als ehemaliger Gemeindepräsident
von Salgesch kennt auch die Lage der
Gemeinden und betonte, wie wichtig die
Bürgernähe der Gemeinden ist. Er sagte
gegenüber der «SG»: «Ein Projekt gegen
den Willen der Gemeinden durchzudrü-
cken, ist unmöglich.» Er rief die Gemein-
den aber auch auf, ihre Verantwortung
wahrzunehmen. Solidarität sei kein ein-
seitiges Geschäft. Neben der Solidarität
des Starken mit den Schwachen gebe es
auch die solidarische «Pflicht,Verantwor-
tung wahrzunehmen und die Aufgaben
zu lösen».
Allgemein war man sich an der Konfe-
renz einig, dass das Modell Schweiz ein
Erfolgsmodell ist. Allerdings hat dieser
Erfolg auch eine Kehrseite. Der Druck für
Reformen ist klein, das schafft wenig
Raum für grosse Würfe. Eine grosse
Rolle spielen dabei die funktionalen
Räume, in denen künftig mehr und mehr
zusammengearbeitet werden muss. Der
Politologe Daniel Bochsler sagte, es sei
nötig, dass politische und funktionale
Räume, die auseinanderdriftet, künftig
wieder zusammengeführt würden. Der
Weg dahin wird aber über Optimierun-
gen führen. Denn Strukturen, die über
200 Jahre gewachsen sind, lassen sich
nicht auf die Schnelle ändern.
In den nächsten Jahren kommen zwar
grosse Herausforderungen auf unser
Land zu, gerade dank dem Föderalismus
sind sie aber zu bewältigen.
czd
Infos: www.foederalismus14.chEva Maria Belser, Professorin für Verfassungsrecht.
Pascal Boulis,
Bilder: Hanspeter Bärtschi
Arnold Koller und Benedikt Würth.