122
Ebenso bedeutsam für die Gesundheit ist aber auch das soziale Kapital.
Die Korrekturen und Weiterentwicklungen – wenn es denn welche sind – des
Wohlfahrtstaates erzeugen ein ungeahnt hohes Maß an Unsicherheit in der
Bevölkerung. Die Unsicherheiten der politischen Lage und der politischen
Zukunft und ihre unerwünschten gesundheitlichen Nebenfolgen sind auch aus
gesundheitswissenschaftlicher Sicht nicht belanglos.
Der schottische Epidemiologe McKeown konnte zeigen, dass das, was man
allgemein als Erfolg der modernen Medizin feierte, nämlich die effektive
Bekämpfung der Infektionskrankheiten, zu einem wesentlichen Teil den Errun-
genschaften des modernen Wohlfahrtsstandes wie den Kanalisationssystemen,
Verbesserung der Wohnsituation, Verbesserung der Ernährungsbedingungen und
anderen sozialen Errungenschaften zu verdanken war. Den entscheidenden Anstoß
zu einer Öffnung des Blicks und des Forschungsinteresses gab der israelische
Medizinsoziologe Aaron Antonovsky mit dem Konzept der Salutogenese. Die
Medizin schließt an Krankheit an, Gesundheitsförderung im Gegensatz dazu an
Gesundheit. Das bedeutet, dass die Medizin dann tätig wird, wenn eine Krank-
heit vorliegt, wobei sie selber definiert, was eine Krankheit ist und was nicht.
Wenn sich ein Patient als gesund herausstellt, steht das System still. In diesem
Fall könnte die Gesundheitsförderung tätig werden, weil sie darauf spezialisiert
ist, Gesundheit durch spezifische Intervention zu vermehren. Nach der neuen
Gesundheitstheorie wird Gesundheit verstanden als operativer Normalzustand
eines Lebewesens, der gegenüber zwei Realitätssphären abgegrenzt werden kann:
einmal gegenüber Krankheit, die sich in der Sphäre der Gesundheit etabliert und
einmal gegenüber einer Umwelt, die ein allgemeines Außen bezeichnet und weder
gesund noch krank ist. Dadurch kann zwischen Gesundheitsverlust (= krank wer-
den) und Gesundheitsgewinn unterschieden werden. In diesem Rahmen ergeben
Prävention, Gesundheitsschutz, Gesundheitsentwicklung und Krankenbehandlung
ein logisches in sich greifendes Muster aus Maßnahmen, welche die beschädigte
Gesundheit wiederherstellen kann, eine gegebene Gesundheit zu erhalten vermag,
und dadurch vor Gefährdung zu schützen und imWeiteren zu steigern versucht.
Angesichts der Komplexität der saluto- und pathogenetischen Prozesse ist
es offenkundig, dass die Adressaten möglicher Interventionsmaßnahmen nicht
einzelne Individuen sein können, deren Einflussmöglichkeiten beschränkt sind.
Sinnvolle Interventionen müssen daher nicht nur das Individuum betreffen,
sondern Populationen, soziale Systeme und die natürliche Umwelt. In die-
sem Schema erscheint die Kurmedizin als eine Intervention auf individueller
oder, wenn Bevölkerungsteile wie Alters- oder Berufsgruppen systematisch
erfasst werden, auf der Ebene der Population. Ziel eines Kuraufenthaltes ist