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Ebenso bedeutsam für die Gesundheit ist aber auch das soziale Kapital.

Die Korrekturen und Weiterentwicklungen – wenn es denn welche sind – des

Wohlfahrtstaates erzeugen ein ungeahnt hohes Maß an Unsicherheit in der

Bevölkerung. Die Unsicherheiten der politischen Lage und der politischen

Zukunft und ihre unerwünschten gesundheitlichen Nebenfolgen sind auch aus

gesundheitswissenschaftlicher Sicht nicht belanglos.

Der schottische Epidemiologe McKeown konnte zeigen, dass das, was man

allgemein als Erfolg der modernen Medizin feierte, nämlich die effektive

Bekämpfung der Infektionskrankheiten, zu einem wesentlichen Teil den Errun-

genschaften des modernen Wohlfahrtsstandes wie den Kanalisationssystemen,

Verbesserung der Wohnsituation, Verbesserung der Ernährungsbedingungen und

anderen sozialen Errungenschaften zu verdanken war. Den entscheidenden Anstoß

zu einer Öffnung des Blicks und des Forschungsinteresses gab der israelische

Medizinsoziologe Aaron Antonovsky mit dem Konzept der Salutogenese. Die

Medizin schließt an Krankheit an, Gesundheitsförderung im Gegensatz dazu an

Gesundheit. Das bedeutet, dass die Medizin dann tätig wird, wenn eine Krank-

heit vorliegt, wobei sie selber definiert, was eine Krankheit ist und was nicht.

Wenn sich ein Patient als gesund herausstellt, steht das System still. In diesem

Fall könnte die Gesundheitsförderung tätig werden, weil sie darauf spezialisiert

ist, Gesundheit durch spezifische Intervention zu vermehren. Nach der neuen

Gesundheitstheorie wird Gesundheit verstanden als operativer Normalzustand

eines Lebewesens, der gegenüber zwei Realitätssphären abgegrenzt werden kann:

einmal gegenüber Krankheit, die sich in der Sphäre der Gesundheit etabliert und

einmal gegenüber einer Umwelt, die ein allgemeines Außen bezeichnet und weder

gesund noch krank ist. Dadurch kann zwischen Gesundheitsverlust (= krank wer-

den) und Gesundheitsgewinn unterschieden werden. In diesem Rahmen ergeben

Prävention, Gesundheitsschutz, Gesundheitsentwicklung und Krankenbehandlung

ein logisches in sich greifendes Muster aus Maßnahmen, welche die beschädigte

Gesundheit wiederherstellen kann, eine gegebene Gesundheit zu erhalten vermag,

und dadurch vor Gefährdung zu schützen und imWeiteren zu steigern versucht.

Angesichts der Komplexität der saluto- und pathogenetischen Prozesse ist

es offenkundig, dass die Adressaten möglicher Interventionsmaßnahmen nicht

einzelne Individuen sein können, deren Einflussmöglichkeiten beschränkt sind.

Sinnvolle Interventionen müssen daher nicht nur das Individuum betreffen,

sondern Populationen, soziale Systeme und die natürliche Umwelt. In die-

sem Schema erscheint die Kurmedizin als eine Intervention auf individueller

oder, wenn Bevölkerungsteile wie Alters- oder Berufsgruppen systematisch

erfasst werden, auf der Ebene der Population. Ziel eines Kuraufenthaltes ist