Background Image
Previous Page  46 / 64 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 46 / 64 Next Page
Page Background

46

CellitinnenForum 3/2016

Endlich Urlaub! Millionen von Bun-

desbürgern zieht es in den Som-

mermonaten in die Ferne, ans Meer

oder in die Berge. Zeit für die Fa-

milie, Sonne tanken, den Kopf frei

bekommen – im Urlaub gönnen wir

uns Dinge, von denen wir im alltäg-

lichen Leben nicht genug haben.

Für unser Gedächtnis hat das Rei-

sen eine besondere Bedeutung. Je

unbekannter die Situationen sind,

denen wir unterwegs begegnen,

desto besser können wir uns daran

erinnern. Urlaube und Reisen ord-

nen wir bis ins hohe Alter zeitlich

ein, der Weg zum Bäcker dagegen

verschwimmt imAlltäglichen. Einige

Reisen haben ein Rückfahrticket,

andere sind der Beginn eines neuen

Lebens.

„Auf Reisen gleichen wir einem

Film, der belichtet wird. Entwickeln

wird ihn die Erinnerung“, schreibt

Max Frisch in seinem Tagebuch.

Ein Satz, den viele Bewohner der

Cellitinnen-Seniorenhäuser nur be-

stätigen können. Sie greifen immer

wieder zu Fotoalben und Dias, um

in Reiseerlebnissen zu schwelgen,

die plötzlich wieder sehr lebendig

werden. Wie wird es den nach-

folgenden Generationen wohl er-

gehen, deren Urlaubsbilder auf

längst aufgegebenen Mobiltelefo-

nen oder Computern abgelegt und

so auf dem Müll gelandet sind?

Sigrun Hahn, Margret Müller und

Rosa Sattelberg leben im Senio-

renhaus St. Anna. An die Urlaube

mit den Eltern und später mit den

Kindern können sich alle noch gut

erinnern. Bei Erinnerungslücken

helfen den Damen ihre Fotos. 1938

stand für Sigrun Hahn, damals zehn

Jahre alt, der erste Urlaub mit El-

tern und zwei Brüdern an. Mit dem

Auto, einem Opel Olympia, ging es

von Heidelberg in die Alpen, an den

Chiemsee. Der See, die hohen Ber-

ge – noch heute kann sich Sigrun

Hahn an Gefühle oder Gerüche aus

jenem Urlaub erinnern. Präsent ist

ihr auch eine Reise von ganz ande-

rer Art. Als Siebzehnjährige fuhr sie

nach Kriegsende von Heidelberg,

wo sie noch zur Schule ging, nach

Thüringen. Dort lebte, sicher vor

dem Bombenkrieg in den Städten,

ihre Familie. So wie heute Flücht-

linge aus dem Nahen Osten oder

Afrika über Schlepperrouten in die

EU kommen, musste sie die ‚Grüne

Grenze‘ überwinden, um von der

amerikanischen Besatzungszone

in die sowjetische zu kommen. Bei

Nacht und Nebel, angewiesen auf

fremde, nicht immer wohlmeinende

Hilfe, kam sie schließlich in Thü-

ringen an. Eine Reiseerinnerung,

auf die sie gerne verzichten würde.

„Aber so war das halt.“

Die meisten Erinnerungen der äl-

teren Damen an ihre Reisen sind

positiv: Beispielsweise ein erster

Urlaub nach dem Krieg bei Ver-

wandten in Essen mit Feuerwerk

im Gruga Park. In den fünfziger

Jahren standen Bergwanderungen

in Österreich, später im ehemaligen

Jugoslawien oder auf Mallorca an.

Bus- und Schiffsreisen auf und ent-

lang der Mosel, auf dem Rhein und

dem Neckar machten sie bis ins

Sag mir, wohin du fährst …

Reisen tragen uns durch das Leben

Kultur | Freizeit