CellitinnenForum 3/2016
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hohe Alter hinein. Besonders schön
sind die Erinnerungen an die Reisen
mit den Enkeln oder der ganzen
Familie, egal wohin. Da ließ sich so
vieles nachholen und an Lebens-
erfahrung weitergeben. Ein wenig
wehmütig blicken die drei zurück –
ja, reisen, das vermissen sie.
Reisen bestimmen
Lebenswege
Der gebürtige Kölner Hermann
Thelen kennt Europa, er war imNa-
hen Osten und in Ägypten. Wenn
er heute die Bilder aus Syrien im
Fernsehen sieht, wird er traurig.
„Das Land war so schön, jetzt ist
alles kaputt.“ Auf seinem Zimmer im
Seniorenhaus Heilige Drei Könige
verwahrt Thelen einen kleinen Teil
seiner Diasammlung. Der passio-
nierte Hobbyfotograf hat alle Reisen
mit der Kamera begleitet. Er greift
oft zu den Diaschatullen, hält die
Bilder gegen das Licht und erinnert
sich: An Fernreisen mit seiner Frau,
Urlaube mit der Familie in Holland.
Alles ist auf Film festgehalten, sor-
tiert und beschriftet. Hermann The-
len schaut sich die Bilder gerne an,
lässt aber auch andere an seinen
Reisen bei Diaabenden oder einer
Fotoausstellung teilhaben.
In seinem Leben gab es aller-
dings eine Reise, die nicht der
Erholung diente, und er braucht
auch heute, mit 92 Jahren, keine
Fotos, um sich an sie genau zu
erinnern. Als 17-Jährigen schickte
die Wehrmacht ihn von Polen an
die französische Küste. Unterwegs
machte der Zug Halt in Köln und
es blieben einige Stunden Zeit, um
unter Lebensgefahr – schließlich
hatten die jungen Soldaten keine
Passierscheine – die Familie zu be-
suchen. Dann ging es weiter in die
Normandie, wo Thelen den D-Day
erlebte. „Es gibt ein Foto vor und
nach der Invasion von mir. Auf den
Bildern schauen zwei völlig ver-
schiedene Menschen in die Ka-
mera.“ Nach dem Krieg brauchte
er lange, um seine Erlebnisse zu
verarbeiten, doch schließlich fasste
er sich ein Herz und fuhr mit seiner
Frau in die Normandie. Die Reise
tat ihm gut. Auch seine Israelreise
war keine reine Erholungsreise.
„Was während meiner Kindheit und
Jugend in Deutschland geschah,
übertrifft den Verstand. Ich woll-
te mehr wissen und so fuhren wir
nach Israel.“
Eine Reise in das große Ungewisse,
so empfand Schwester Rudolfa
ihren ersten Flug von Indien nach
Deutschland. Als junge Frau trat sie
in den Orden der Cellitinnen nach
der Regel des heiligen Augustinus
ein. Das war nach dem II. Vatika-
num. Das Ordensgelübde für die
in Köln ansässige Ordensgemein-
schaft konnte nur in Deutschland
abgelegt werden. „Alles war neu,
das Essen, die Sprache und das
Wetter“, erinnert sich Schwester
Rudolfa. „Aber ich hatte keine
Angst.“ Nach demGelübde wurden
die jungen Schwestern dann zurück
nach Indien geschickt, denn hier
warteten große Aufgaben auf sie.
Mittlerweile konnte der Orden in
Indien Niederlassungen gründen,
die Schwester Rudolfa im Bundes-
staat Kerala mit aufbaute. Sie reiste
viel, um die Niederlassungen zu be-
suchen. Unter anderen Umständen
würde man von ‚Geschäftsreisen‘
sprechen.
Nach 45 Jahren bat sie darum, wie-
der nach Deutschland zu dürfen,
um einer leichteren Tätigkeit nach-
zugehen. Wie lange sie noch im Se-
niorenhaus St. Anna am Empfang
und in der Seelsorge arbeiten wird,
ist ungewiss. Gewiss ist aber, dass
es irgendwann für sie ein Rück-
reiseticket nach Indien geben wird.
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