sehr zu verlieren fürchtete, plötzlich
ist mir ihr Verlust süß; ich jage sie
weg und Freude erfüllt mich.“ (Be-
kenntnisse IX,1)
Zehn Regeln der Gelassenheit
Der heilige Johannes XXIII. war
schon recht alt, als er 1958 zum
Papst gewählt wurde. Vielleicht
konnte er mit der Einberufung des
Zweiten Vatikanischen Konzils eine
solche Wirkung entfalten, weil ihm
eines besonders am Herzen lag:
er wollte ‚gelassen‘ leben. Diese
‚Gelassenheit‘ war aber auch ihm
nicht angeboren. Im Bewusstsein,
dass sie wie alle wichtigen Dinge im
Leben ein kostbares Geschenk ist,
musste er sich diese Haltung hart
erarbeiten und imGebet erbitten. Er
hat dann für sich die „zehn Regeln
der Gelassenheit“ niedergeschrie-
ben und sie sich immer wieder ins
Gedächtnis gerufen.
Die wichtigste Erkenntnis dieser
,zehn Regeln der Gelassenheit‘ ist
folgende: Um gelassen leben zu
können, muss ich etwas eingrenzen,
etwas überschaubar machen. Wie
gelingt das? Gelassenheit ist nicht
auf einmal zu erwerben, stattdes-
sen geht es zunächst nur um den
heutigen Tag. Johannes hat es bei
seinen Regeln und Vorsätzen genial
formuliert. Alles, was er sich vorneh-
men wollte, wird mit dem Vordersatz
eingeleitet: „Heute, nur heute…wer-
de ich mich bemühen, den Tag zu
leben, ohne die Probleme meines
Lebens auf einmal lösen zu wollen.“
So lautet die erste der zehn Regeln
der Gelassenheit; auch die anderen
neun werden so eingeleitet: „Heute,
nur heute…“. Das ist eben nicht
morgen oder übermorgen. „Sorgt
euch also nicht um morgen, denn
der morgige Tag wird für sich selbst
sorgen. Jeder Tag hat genug eigene
Plage.“ (Mt 6,34) So sagt es Jesus
in der Bergpredigt. Das entlastet.
Ich muss nicht jetzt schon die Fra-
gen der Zukunft lösen. Es geht nicht
um alles oder nichts, es geht um das
Hier und Jetzt.
Die zehn Regeln der Gelassenheit
1. Heute, nur heute werde ich
mich bemühen, den Tag zu
leben, ohne die Probleme mei-
nes Lebens auf einmal lösen
zu wollen.
2. Heute, nur heute werde ich auf
ein zurückhaltendes Auftreten
achten: ich werde niemanden
kritisieren, ich werde nicht da-
nach streben, die anderen zu
korrigieren oder zu verbes-
sern – nur mich selbst.
3. Heute, nur heute werde ich
in der Gewissheit glücklich
sein, dass ich für das Glück
geschaffen bin – nicht nur für
die andere, sondern auch für
diese Welt.
4. Heute, nur heute werde ich
mich an die Umstände anpas-
sen, ohne zu verlangen, dass
die Umstände sich meinen
Wünschen anpassen.
5. Heute, nur heute werde ich
zehn Minuten meiner Zeit einer
guten Lektüre widmen, wie
die Nahrung für das leibliche
Leben notwendig ist, so ist
die Lektüre notwendig für das
Leben der Seele.
6. Heute, nur heute werde ich
eine gute Tat vollbringen und
ich werde es niemanden er-
zählen.
7. Heute, nur heute werde ich
etwas tun, wozu ich eigentlich
keine Lust habe; sollte ich es
als eine Zumutung empfinden,
werde ich dafür sorgen, dass
niemand es merkt.
8. Heute, nur heute werde ich
ein genaues Tagesprogramm
aufstellen. Vielleicht halte ich
mich nicht genau daran, aber
ich werde es aufsetzen. Und
ich werde mich vor zwei Übeln
hüten: vor der Hetze und vor
der Unentschlossenheit.
9. Heute, nur heute werde ich fest
daran glauben – selbst wenn
Umstände mir das Gegenteil
zeigen sollten -, dass die gü-
tige Vorsehung Gottes sich
um mich kümmert, als gäbe
es sonst niemanden auf der
Welt.
10. Heute, nur heute werde ich
keine Angst haben. Ganz be-
sonders werde ich keine Angst
haben, mich an allem zu freu-
en, was schön ist, und an die
Güte glauben.
Papst Johannes XXIII.
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CellitinnenForum 3/2018