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Anna Mittelstädt,

Psychoonkologin

am St. Vinzenz-Hospital, Köln

Menschen, die in meine Sprech-

stunde kommen, haben oft das

Gefühl, die Krankheit habe die

Kontrolle über ihr Leben über-

nommen. Meine Aufgabe ist es,

Patienten dabei zu unterstützen,

handlungsfähig zu bleiben. Gemeinsam suchen wir

nach Wegen, mit der Krankheit umzugehen. Manchmal

hilft ‚therapeutisches Zuhören‘. Mit einigen Patienten

erarbeite ich eine Struktur: Was sind die nächsten

Schritte? Welche Möglichkeiten gibt es? Wo finde ich

psychologische Unterstützung nach meiner Entlas-

sung? Das ist mein Plan A, wie könnte Plan B ausse-

hen? Wieder andere finden eine innere Ruhe bei Ent-

spannungsübungen. Bei manchen Menschen besteht

der Wunsch, mehr Gelassenheit in ihrer schwierigen

Situation zu finden.

Gelassen zu sein, ist ein hehres Ziel, denn Gelassenheit

ist nicht gleich Gleichgültigkeit. Auf dem Weg dahin

muss viel Verzweiflung ausgehalten und überwunden

werden. Dies beinhaltet unter anderem, das Wahrneh-

men von Emotionen, die Klärung eigener Wünsche und

letztlich die Akzeptanz des Unvermeidlichen und der

Hilflosigkeit sowie das ‚Loslassen‘, um die Möglichkeit

zu schaffen, Ressourcen wiederzuentdecken. Mithilfe

meiner langjährigen Ausbildung kann ich einerseits mit

den Patienten mitfühlen und gleichzeitig eine ‚profes-

sionelle Gelassenheit‘ wahren. Ich bin dankbar dafür,

dass die Menschen mir ihre Geschichte anvertrauen.

Für meinen eigenen Ausgleich hilft es mir, auch mal eine

Kerze in der Kapelle anzuzünden.

Schwester Katharina Cleff,

Mitarbeiterin im Wohnstift

St. Anna, Köln

Ob man dem Alter generell eine

gewisse Gelassenheit unter-

stellen kann, bezweifle ich. Viel

hängt davon ab, wie das Leben

verlaufen ist. Welche Erfahrun-

gen bringe ich mit? War mein

Leben geprägt von Freude oder

Schicksalsschlägen? Wie reagiere ich auf bestimmte

Situationen: ängstlich-ohnmächtig-abwehrend oder

neugierig-positiv? Je mehr Ankerpunkte die Bewohner

haben, beispielsweise Gott oder die Familie, umso

besser können sie gelassen dem letzten Lebensab-

schnitt gegenübertreten. Man kann aber auch im Alter

Gelassenheit trainieren, etwa über die Musik.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Singen gelassen

macht. Es holt Menschen aus der Isolation, öffnet ihre

Herzen, verbindet mit anderen und fordert den Geist.

Ich bin kein Neurologe, aber ich könnte mir vorstel-

len, dass der Zusammenhang zwischen Singen und

Gelassenheit wissenschaftlich nachgewiesen werden

kann. Meine Aufgabe ist es, zuzuhören und Zuspruch

zu geben. Meine Kraft und Gelassenheit dazu schöpfe

ich aus dem Glauben an Jesus Christus.

Bernd Wolfram Schlör,

Oberarzt Notfallambulanz,

Heilig Geist-Krankenhaus, Köln

Seit 2007 arbeite ich im Heilig

Geist-Krankenhaus. Normaler-

weise bin ich ein sehr gelasse-

ner Mensch und behalte auch in

hektischen Zeiten den Überblick.

Ich versuche, meine Ruhe und

Konzentration dann an die Kollegen weiterzugeben.

In diesem Winter wurde meine Gelassenheit allerdings

arg strapaziert. Während der Grippeepidemie hatten

wir eine Vielzahl von Patienten mehr zu versorgen als

gewöhnlich – das führte Ärzte und Pfleger an den Rand

der Belastbarkeit.

In letzter Zeit suchen vermehrt Menschen mit Kleinig-

keiten oder seit Wochen bestehenden Beschwerden die

Notfallambulanz auf. Einige fahren dann auch noch mit

dem Rettungswagen vor, um die Kosten für das Taxi zu

sparen. Das macht mich fassungslos. Doch ich bleibe

sachlich und freundlich und versuche zu vermitteln,

dass für diese Situationen der niedergelassene Kollege

zuständig ist. Ohne meine Familie wäre es schwierig,

Distanz zu meinem Beruf zu wahren. Ich bin froh, drei

Kinder zu haben, die mir dabei helfen, die Sorgen aus

der Notfallambulanz an der Haustüre mit der Jacke

abzulegen.

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Titel | Thema

CellitinnenForum 3/2018