Weglassen, loslassen, ablassen,
sein lassen, zulassen, überlassen –
ohne Verzicht scheinen die unter-
schiedlichen Formen von ‚lassen‘
nicht zu funktionieren. Das gilt auch
für die ‚Gelassenheit‘. Wie Sie lesen
werden, muss man schon einiges
lassen, um gelassen zu werden.
Doch wie definiert man den Begriff
überhaupt?
Laut Synonymwörterbuch be-
schreibt er einen Zustand zwischen
Ausgeglichenheit, Abgeklärtheit, Be-
dachtsamkeit, Besonnenheit, Güte,
Muße, Souveränität und Demut,
wobei er damit nur bruchstückhaft
charakterisiert und nie genau getrof-
fen wird. Die Gelassenheit, da sind
sich Philosophen von Aristoteles bis
Schmidt und Sloterdijk einig, lässt
uns die Komplexität der Welt erst
aushalten. Einige sehen in ihr sogar
einen maßgeblichen Mosaikstein auf
dem Weg zum Glück. Nehmen Sie
sich also ein Getränk Ihrer Wahl,
legen Sie die Füße hoch, lassen Sie
die anderen machen und wagen Sie
den ersten Schritt auf dem Weg zur
Gelassenheit – entspannen Sie beim
Lesen der folgenden Seiten.
„Wer sich nur einen Augenblick
gänzlich ließe, dem würde alles
gegeben. Der Mensch, der gelas-
sen hat und gelassen ist und der
niemals nur einen Augenblick auf
das sieht, was er gelassen hat – der
Mensch allein ist gelassen.“
(Meister Eckhart)
Das Wort Gelassenheit ist auf
Meister Eckhart, Dominikaner und
Theologe des Spätmittelalters, zu-
rückzuführen. Gelassenheit bedeu-
tete für ihn, sich vollkommen von
seinen Wünschen, seinem Willen
und allem, was die eigene Identi-
tät ausmacht, zu verabschieden,
um Platz zu schaffen für das einzig
Verlässliche: Gott. Meister Eckhart
und seine Schüler sprachen sich für
ein auf Gott vertrauendes Leben in
der Gegenwart aus, in demGefühle
und Gedanken des Augenblicks zu
respektieren und zu achten sind.
Schon vor Meister Eckhart verord-
neten Platon und Aristoteles so-
wie die Stoiker Seneca oder Kaiser
Marc Aurel den Menschen Ruhe-
pausen inmitten einer turbulenten
Welt. Die Philosophen strebten
nach ‚ataraxia‘, der Unerschütter-
lichkeit der Seele. Nach stoischer
Lesart schafft Gelassenheit Halt
und Sicherheit. Um sie zu erreichen,
bedarf es einer kritischen Distanz zu
Ereignissen, Abhängigkeiten und
Emotionen. Sie funktioniert nach
dem Motto „Erst denken, dann
handeln“. Die Stoiker predigten
eine Haltung, die es Menschen er-
leichterte, in Konflikten handlungs-
fähig zu bleiben. Kein hektisches
Agieren, kein überstürzter Aktionis-
mus – erst das Freisein von Leiden-
schaft durch innere Distanz sicherte
nach Seneca die nötige Ruhe und
Unabhängigkeit, Entscheidungen
zu treffen. Dinge oder Situationen,
auf die man keinen Einfluss habe,
solle man so akzeptieren.
In diesem Sinne würde uns etwas
mehr Stoa sicherlich guttun. Wenn
‚Let it be …‘
Eine Philosophie für unruhige Zeiten
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Titel | Thema
CellitinnenForum 3/2018