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JURISPRUDENCE
94
forum
poenale
2/2008
me Belastung des Jugendlichen darin bestand, alleine auf
sich und ohne elterlichen oder rechtlichen Beistand gestellt
zu sein und sich in der Unsicherheit zu befinden, wie es wohl
weitergeht. Auch wusste der Einsprecher, dass man am
nächsten Tag in die Ferien fahren wolle, es wurde ihm je
doch durch die Behörden im Auftrag der Eltern nicht aus
gerichtet, dass man am nächsten Tag zusammen in die Fe
rien fahre. Angesichts der Tatsache, dass Kinder und
Jugendliche auf Strafverfahren besonders empfindlich re
agieren, ist dem Umstand der grossen Belastung bei der Be
messung der Genugtuung ebenfalls grosses Gewicht beizu
messen. Schliesslich ist zu beachten, dass der Einsprecher
dadurch, dass die Angelegenheit zum Schul- und Dorfge
spräch gemacht wurde, noch während einer geraumen Zeit
nach dem Vorfall Demütigungen und dadurch erhebliche
psychische Belastungen erlitt. Obwohl der Fall insofern kei
ne weitere Aufmerksamkeit auf sich zog, als er nicht Ein
gang in die Presse fand, wurde der Einsprecher doch von
Mitschülern gehänselt und von Dorfbewohnern abgestem
pelt. Gemäss den Eltern des Einsprechers hat dieser seit dem
Vorfall grosse Ängste, Panikattacken, Albträume und brau
che viel mehr Zuwendung, als früher. Es ist davon auszuge
hen, dass sowohl das Erlebte wie auch die Folgen davon sich
in schwerer Weise auf den Einsprecher ausgewirkt haben.
Unter den gegebenen Umständen ist dem Einsprecher in
teilweiser Gutheissung der Einsprache eine Genugtuung in
der Höhe von Fr. 2000.– zuzusprechen.
3. Schadenersatz
[…]
3.3 § 367 Abs. 4 i.V.m. 43 Abs. 1 und 2 StPO sehen vor,
dass dem Angeschuldigten im Falle der Einstellung des Ver
fahrens eine Entschädigung für die durch die Untersuchung
verursachten Kosten und Umtriebe zugesprochen werden
kann, wenn diesem keine Kosten auferlegt werden und er
die Untersuchung nicht durch leichtfertiges oder verwerfli
ches Benehmen erschwert oder verursacht hat. Zu entschä
digen sind wesentliche Kosten und Umtriebe. Zu den we
sentlichen Kosten sind die Kosten der Verteidigung zu
zählen. Handelt es sich sachlich und persönlich nicht um ei
nen leichten Fall, so ist der Beizug eines Anwaltes immer ge
rechtfertigt. Dies ist mit Ausnahme von Bagatelldelikten bei
Verbrechen und Vergehen wohl zumeist der Fall. Zu vergü
ten sind die Verteidigerkosten nach Anwaltstarif, wobei der
Aufwand für die Verteidigung und die Wichtigkeit der Sa
che in einem gewissen Verhältnis zueinander stehen müssen
(Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4. Auflage, Zürich
2004, N 1218 ff.).
3.4 Vorliegend wurden demAngeschuldigten keine Kos
ten auferlegt, auch hat er die Untersuchung weder erschwert
noch verursacht. Ausserdem handelt es sich nicht mehr um
ein Bagatelldelikt. Es war den Eltern des Einsprechers, die
sich selber als juristische Laien bezeichnen, nicht zuzumu
ten, das Strafverfahren gegen ihren Sohn alleine und ohne
rechtlichen Beistand zu bestreiten. Der Vorwurf der Wider
handlung gegen die sexuelle Integrität, welcher sich gegen
den Einsprecher richtete, ist denn auch nicht mehr als leich
ter Fall einzustufen, weder juristisch noch persönlich für den
Einsprecher und seine Familie selber. Dass im vorliegenden
Fall ein Verfahren betreffend Widerhandlung gegen die se
xuelle Integrität sowie eines betreffend Tätlichkeit geführt
wurde, wobei das eine eingestellt wurde, das andere in ei
ner Erziehungsverfügung endete, trägt für die gesetzlichen
Vertreter des Einsprechers nicht zur Vereinfachung der Si
tuation bei. Gerade was die verletzten persönlichen Rechte
sowie die Genugtuung des Einsprechers betrifft, ist die recht
liche Lage für einen juristischen Laien nicht von Grund auf
klar und bedarf eines rechtlichen Beistandes. Aus diesem
Grund sind den gesetzlichen Vertretern des Einsprechers die
durch das Verfahren entstandenen Kosten für die Verteidi
gung im Umfang von Fr. 5467.80 zu ersetzen. Weiter sind
die geltend gemachten Fr. 161.90 für Barauslagen ausgewie
sen […] und zu ersetzen. Die vom gesetzlichen Vertreter des
Einsprechers geltend gemachte Entschädigung für ausgefal
lene und in der Freizeit nachgeholte Arbeitszeit ist nicht aus
gewiesen. Insbesondere wurde vom gesetzlichen Vertreter
des Einsprechers nicht dargelegt, weshalb er keinen An
spruch gegenüber der Gemeinde XY. als Arbeitgeberin auf
eine Freistellung während der Arbeitszeit für familiäre Ver
pflichtungen haben soll.
[…]
n
3. Kernstrafrecht
Droit pénal primaire
3.1 Schwerpunkt Allgemeiner Teil
Accent sur la partie générale
Nr. 23
Bundesgericht, I. öffentlich-rechtliche Abteilung,
Urteil vom 4. September 2007 i.S. X. gegen
Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern, Verwal-
tungsgericht des Kantons Luzern − 1C_4/2007
Art. 17, 18 StGB, Art. 16c SVG: Notstand, Führerausweisentzug.
Die Bestimmungen zum Notstand gemäss Art. 17 f. StGB sind bei
einem Warnungsentzug sinngemäss anwendbar (E.2.2). Das Inte
resse des Fahrzeugführers, wegen einer schweren Durchfallerkran
kung möglichst rasch eine Toilette aufzusuchen, rechtfertigt eine
massive Geschwindigkeitsüberschreitung nicht. Bei erheblichen Ge
schwindigkeitsüberschreitungen kommt eine Rechtfertigung durch
Notstand oder Notstandshilfe allenfalls in Betracht, wenn der
Schutz hochwertiger Rechtsgüter wie Leib, Leben und Gesundheit
von Menschen in Frage steht (E.2.2). (Regeste der Schriftleitung)