Background Image
Previous Page  51 / 64 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 51 / 64 Next Page
Page Background

wusstsein gefeiert, sie nicht lebend

wiederzusehen.

Wir fahren mit der uralten Trambahn

zumMamajew-Hügel. Der höchste

Punkt Wolgograds war den Sol-

daten beider Truppen strategisch

wichtig. Heute ist der Hügel ein stil-

ler Park: In Meter hohe Wände ge-

hauen, zeugen steinerne Bildnisse

vom Leid der russischen Bevölke-

rung. Neben der Monumentalstatue

der ‚Mutter Heimat‘ mahnt eine Ge-

denkstätte an die Kriegstoten. Es

berührt viele von uns sehr, dass just

dort die ‚Träumerei‘ des deutschen

Komponisten Robert Schumann

in Dauerschleife gespielt wird; auf

dass der Traum vom Frieden die

Kriege überwinden möge.

In den Jahren des Kampfes, als die

Wolga brannte, wurden 99 Prozent

der Stadt bis auf die Grundmauern

zerstört. Stalin hatte befohlen, die

Stadt an gleicher Stelle wieder

aufzubauen, und so präsentiert

sich das heutige Wolgograd als

schmucke Industriestadt. Einzig

die alte Getreidemühle am Wolga-

Ufer wurde als Mahnmal so zer-

bombt belassen. Das Panorama-

Museum direkt daneben bündelt

als Erinnerungsstätte die Schlacht

von Stalingrad: gemalt, nachgestellt

und mit unzähligen Dokumenten,

Uniformen und militärischen Aus-

stellungsstücken illustriert. Mir ist

die Welt der militärischen Strate-

gien, der Macht und Gewalt, der

Uniformen und Waffen fremd.

Und nach dem dritten Vortrag der

russischen Dolmetscher über die

Heldentaten der russischen Armee

war vielen von uns nicht mehr nach

Kriegsthemen. Für die russische

Bevölkerung, insbesondere für die

Älteren, sind sie Teil einer Leidens-

geschichte und Heldensaga zu-

gleich. Uns Deutsche beunruhigt

das latente Bewusstsein, den Krieg

angefangen zu haben und Nach-

kommen des Feindes zu sein.

Indes, niemand macht uns diesen

Vorwurf. Jurij Fjodorovitsch Staro-

vatych, der frühere Bürgermeister

von Wolgograd, der zusammen

mit dem Kölner Oberbürgermeis-

ter Norbert Burger die Städtepart-

nerschaft besiegelt hatte, spricht

angesichts der aktuell gespannten

Beziehungen in der Politik von der

Aufgabe der ‚Diplomatie des Vol-

kes‘; selber herauszufinden, was

an guten Beziehungen zwischen

Russen und Deutschen möglich

ist. Unsere Begegnung mit seinem

Nachfolger imRathaus der Stadt ist

wichtig. Das russische Fernsehen

nimmt das Gespräch in voller Länge

auf und interviewt uns ob unserer

Eindrücke. Wir erzählen von der

beispiellosen Gastfreundschaft der

russischen Gastgeber. Überall wur-

de uns mehr als reichlich aus der

köstlichen russischen Küche auf-

getischt und eingeschenkt, mit oder

ohne Dolmetscher Stunden lang

erzählt, gefragt, gelacht, getanzt

und geweint.

Ein Besuch auf dem deutsch-russi-

schen Soldatenfriedhof Rossosch-

ka mit offizieller Kranzniederlegung

stimmt nachdenklich – dass die

Menschheit aus dem Wunsch ‚Nie

wieder Krieg!‘ so wenig gelernt

hat. Syrien scheint dem ehema-

ligen Stalingrad so nah. Der VdK

Verein Deutscher Kriegsgräberfür-

sorge vermittelt uns in seinem

Begegnungszentrum, dass für

Tausende von Menschen die Grä-

berfelder wichtig sind, weil sie nach

vermissten Angehörigen suchen.

Russischer Alltag: Im gesamten

Bezirk Rossoschka ist per Dekret

für drei Tage der Strom abgestellt.

Dennoch verköstigen uns die Mit-

arbeiter des VDK mit heißer Suppe

CellitinnenForum 1/2017

51

Kultur | Freizeit