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Meine Mutter Nesibe Dincer wurde

1932 in Bulgarien geboren. Bulga-

rien gehörte damals zum Osma-

nischen Reich, daher lebten dort

auch viele türkischstämmige Ein-

wohner. Mein Großvater war ein an-

gesehener und reicher Pferdehänd-

ler. ‚Hussein der Pferdehändler‘ war

selbst in Griechenland ein Begriff.

Wenn er von seinen Verkaufsreisen

zurückkam, hatte er die Taschen

voller Gold.

Mit 18 Jahren heiratete meine Mut-

ter meinen Vater. Die Hochzeit war,

wie damals üblich, arrangiert. Als

cleverer Geschäftsmann hatte mein

Großvater für seine Tochter eine

sehr gute Partie ausgewählt. Die

Familie meines Vaters hatte einen

großen Bauernhof. Alle Freundin-

nen beneideten meine Mutter. Bis

dahin verlief das Leben meiner

Mutter sehr glücklich.

Harte Zeiten

Im September 1950 kam meine

Schwester Fatima auf die Welt.

Die kommunistische Regierung in

Bulgarien hatte zu der Zeit bereits

mit der Zwangsassimilation der

türkischstämmigen Bevölkerung

begonnen. So musste die Familie

Hals über Kopf mit dem drei Mona-

te alten Säugling fliehen. Meine El-

tern ließen alles zurück, den großen

Bauernhof, Geld und Wertsachen

und machten sich auf den Weg in

die Türkei. Drei Monate brauchten

sie, bis sie erschöpft und krank die

türkische Grenze erreichten. Dort

wurden alle medizinisch versorgt,

dann ging es weiter per Fracht-

schiff. Nach einigen, an Nerven

und Körper zehrenden Irrwegen

erreichten sie schließlich Izmir. An

die guten Zeiten in Bulgarien konnte

die Familie nicht mehr anknüpfen.

Meine Mutter bekam über Bezie-

hungen eine Stelle als Vorarbeiterin

in einer Tabakfabrik. Die Arbeits-

bedingungen waren sehr hart, es

wurde im Akkord gearbeitet. Wer

die vorgeschriebene Menge nicht

schaffte, wurde entlassen und

konnte seine Familie nicht mehr

ernähren. Meine Mutter hat in ihrer

Position vielen Frauen geholfen, die

zu schwach waren, um das Tages-

pensum zu schaffen.

1956 wurde ich geboren, kurz

darauf meine jüngere Schwester

Nermin. Als meine kleine Schwester

krank wurde, fehlte es an Geld für

Medikamente. Die Kleine starb mit

zwei Jahren. Ihren Tod hat meine

Mutter bis heute nicht verwunden.

Als Gastarbeiter in Deutschland

Daraufhin beschloss mein Vater, in

Deutschland sein Glück für die Fa-

milie zu suchen und nahm1962 eine

Stelle bei den Kölner Ford-Werken

an. Die erste Zeit war sehr schwierig

für ihn. Er hatte ein Kind verloren,

seine Familie zurückgelassen, lebte

in einem Land, dessen Sprache

er nicht verstand und musste sich

im Männerwohnheim mit mehre-

Die Tochter des Pferdehändlers

Aus der neuen Reihe: Lebensgeschichten

Vater Dincer arbeitet bereits in

Deutschland bei Ford in Köln,

Mutter und Töchter sind noch

in der Heimat

Nesibe Dincer und Tochter

Sevim in den Hausgemein-

schaften St. Augustinus

CellitinnenForum 4/2016

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