ren ein Zimmer teilen. 1965 holte
er meine Mutter nach Köln. Wir
Kinder blieben bei meinen Groß-
eltern. Der Abschied von meiner
Mutter fiel mir sehr schwer und ich
lief weinend hinter demBus her, der
meine Eltern zum Bahnhof brachte.
Ich war gerade sechs Jahre alt.
Meine Mutter bekam eine Stelle in
der Schokoladenfabrik Stollwerck.
Nach sechs Monaten musste sie
Urlaub nehmen und mich in Izmir
abholen, da ich mich seit dem
Weggang der Eltern weigerte zu
sprechen. So kam ich 1966 in Köln
an. Meiner älteren Schwester ge-
fiel es bei den Großeltern und sie
blieb in Izmir. Da meine Eltern sehr
schlecht Deutsch sprachen und ich
in der Schule schnell die Sprache
lernte, wurde ich zumDolmetscher.
In den sechziger Jahren gab es
viele Vorbehalte gegenüber den so-
genannten ‚Gastarbeitern‘. Doch
es gab auch viele gute Menschen,
die uns geholfen haben.
1974 kam meine Schwester Ya-
semin zur Welt. Langsam wurde
Köln zu unserem neuen Zuhause.
Wir Kinder gingen zur Schule,
fanden deutsche Freundinnen und
integrierten uns in die Gesellschaft.
Meine Schwester heiratete einen
deutschen Schulkameraden. Köln
ist unsere Heimat.
In den Hausgemeinschaften
St. Augustinus
Mein Vater starb 1992 und meine
Mutter erlitt vor zehn Jahren einen
Schlaganfall. Zuerst pflegte mei-
ne Schwester sie. Doch als diese
ein Kind erwartete, mussten wir
eine andere Lösung finden. Im Juli
2011 wurde in den Hausgemein-
schaften St. Augustinus ein Zimmer
für meine Mutter frei. Ich wohne
ganz in der Nähe und besuchte
meine Mutter täglich. Aus familiären
Gründen und obwohl sich meine
Mutter in dem Seniorenhaus sehr
wohl fühlte, mussten wir sie 2012
in eine andere Einrichtung bringen.
Diese Entscheidung haben wir bald
bitterlich bereut. Meine Mutter war
dort sehr unglücklich. Sie aß und
trank zu wenig, wurde depressiv
und magerte auf 46 Kilo ab. Ver-
zweifelt schrieb ich dem Senioren-
hausleiter Dino Kierdorf einen Brief.
Ich habe ihm unsere Situation offen
und ehrlich geschildert und ihn ge-
beten, meine Mutter wieder auf-
zunehmen. Schon am nächsten
Tag erhielt ich einen Anruf: Ja, man
werde meine Mutter gerne wieder
aufnehmen, sobald ein Zimmer frei
würde. Ich kämpfte mit Rücken-
deckung von Dino Kierdorf wie ein
Löwe beim Sozialamt und schließ-
lich stimmten die Sachbearbeiter
zu: Meine Mutter durfte zurück.
Seit August lebt sie nun wieder in
den Hausgemeinschaften St. Au-
gustinus. „Ich bin heimgekehrt“,
sagte sie erleichtert, als sie ihr neu-
es Zimmer bezog. Das Sommer-
fest am folgenden Sonntag war
wie ein Willkommensgeschenk für
meine Mutter. Zuerst gab es einen
Gottesdienst, in dem für die Be-
wohner, die Beschäftigten und die
Verstorbenen gebetet wurde. Dabei
wurde mir klar, dass es zwischen
dem echten Islam und dem Chris-
tentummehr Gemeinsamkeiten als
Unterschiede gibt. An dem Fest
nahmen auch Ordensschwestern
teil, die meine Mutter noch von
ihrem ersten Aufenthalt kannten.
Die Wiedersehensfreude auf beiden
Seiten war herzlich und groß.
Alle Mitarbeiter und Dino Kierdorf
sind einfach großartig. Sie gehen
mit den Bewohnern um, als handele
es sich um den eigenen Vater, die
eigene Mutter oder die Großeltern.
Die Aufforderung des türkischen
Dichters Yunus Emre „Liebe das
Geschöpf um des Schöpfers willen“
findet sich in St. Augustinus umge-
setzt.
Nun ist meine Mutter schon drei
Monate hier. Sie bekommt wieder
Appetit und erholt sich. Ich gehe
sie täglich besuchen und danke
Gott, dass sie wieder in die Haus-
gemeinschaften einziehen konnte.
Ich bete für alle, die uns dabei ge-
holfen haben. Manchmal weiß man
etwas erst zu schätzen, wenn man
es verloren hat.
Sevim Dincer
Sevim mit ihren Eltern
in Deutschland
28
CellitinnenForum 4/2016
Profile | Personen