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CellitinnenForum 4/2016
erhielt der Nikolauskult vermehrte
Bedeutung durch die Heirat der aus
dem byzantinischen Kaiserhaus
stammenden Prinzessin Theo-
phanu mit dem späteren Kaiser
Otto II. im Jahr 972. Theophanu,
seit 973 Kaiserin und nach dem
frühen Tod ihres Mannes Regentin
des Reiches für ihren unmündigen
Sohn Otto III., war eine einfluss-
reiche Verehrerin von Heiligen ihres
heimatlichen Kulturkreises. Durch
die Widmung von Kirchen, Kapellen
und Altären oder die Ausstattung
mit Reliquien wurde dies auch be-
sonders deutlich gemacht. Neben
Nikolaus, dem eine Kapelle zum
Gedächtnis ihres Todes 991 in der
Kaiserpfalz Nimwegen geweiht war,
fühlte sie sich dem heiligen Märtyrer
Pantaleon besonders verbunden.
In Köln sorgte die Kaiserin für den
repräsentativen Ausbau der Kirche
unter dem Patronat dieses heiligen
Arztes und Nothelfers, in der sie
auch bestattet wurde. Ihre Tochter
Mathilde, die mit dem mächtigen
Pfalzgrafen Ezzo verheiratet war,
gründete mit ihrem Ehemann in
Brauweiler ein Benediktinerkloster,
das dem hl. Nikolaus geweiht und
dem immerwährenden Gedenken
der Stifter dienlich sein sollte.
Als Hauptort der Nikolausverehrung
in Westeuropa gilt das süditalie-
nische Bari. Im Jahr 1087 hatten
Seeleute aus der apulischen Hafen-
stadt Nikolausreliquien aus Myra
geraubt. In Bari entstand nach dem
feierlichen Einzug der Reliquien die
neue Grabeskirche San Nicola als
bis heute bedeutendes Wallfahrts-
ziel.
Legendenbildung
Die Vielzahl der Legenden, die
sich mit der Gestalt des Bischofs
Nikolaus verbunden haben, ist Aus-
druck der Beliebtheit dieses Hei-
ligen. Die älteste Wundergeschich-
te, die ‚Urlegende‘, handelt von der
Befreiung zu Unrecht Verurteilter:
Nikolaus habe Unschuldige im letz-
ten Moment vor der Hinrichtung be-
wahrt, indem er Kaiser Konstantin
im Traum erschienen sei, was den
Kaiser wiederum die Angelegenheit
untersuchen ließ und die Intrige
eines korrupten Statthalters offen-
barte – die Beschuldigten waren
gerettet.
Das ‚Schiffswunder‘ beinhaltet die
Rettung von Seeleuten vor dem
drohenden Untergang eines Schif-
fes im Sturm. Diese Geschichte
bildet den Hintergrund für das Pa-
tronat des Bischofs für Seefahrer
und die Seefahrt überhaupt und für
viele Nikolaus- oder Nikolaikirchen
in Hafenstädten.
In der ‚Kornlegende‘ erwies sich
der Heilige als Helfer bei einer
Hungersnot in seiner Stadt Myra.
Von den Seeleuten, die auf ihren
Schiffen mit Getreide für den Kaiser
unterwegs waren, habe er sich von
jedem Schiff jeweils 100 Scheffel
Korn erbeten. Die Besatzungen
ließen sich darauf ein, nachdem
Nikolaus ihnen versichert hatte,
dass infolge seines Gebets bei der
Ablieferung am Bestimmungsort
nichts fehlen würde, was sich dann
auch als wahr herausstellte.
In Deutschland scheint die so-
genannte ‚Jungfrauenlegende‘ am
meisten mit dem hl. Nikolaus ver-
knüpft zu sein, jene Erzählung von
den drei Töchtern eines vormals
reichen und dann verarmten Vaters.
Aus Mitleid und um den Mädchen
eine standesgemäße Mitgift zu einer
Heirat zu verschaffen, da ansonsten
nur der Weg in die Prostitution vor-
gezeichnet war, habe der Bischof
ihnen unbemerkt nachts drei Gold-
stücke oder goldene Kugeln als
Heiratsgabe auf das Bett gelegt,
woraus sich unter anderem die Vor-
stellung von Nikolaus als Gaben-
bringer entwickelte. So wurde der
Heilige dann auch oft dargestellt –
als Bischof im Ornat mit dem Stab
in der einen Hand. In der anderen
hält er ein Buch mit drei Kugeln
darauf.
Weniger bekannt, aber umso wich-
tiger für das Brauchgeschehen am
Nikolaustag und am Vorabend, war
die erst seit dem 12. Jahrhundert
in Nordfrankreich aufgekommene
Das Kornwunder
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