Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 1/2015 (Mai 2015) - page 5

Fortbildung aktuell – Das Journal
der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 5
Prof. Martin Smollich
Schützen
ω
3-Fettsäuren und Fischöl-
kapseln tatsächlich vor Herzinfarkt und
Schlaganfall? Was in den 1970er Jahren
als „Eskimo-Diät“ begann und insbeson-
dere unter kardioprotektivem Aspekt po-
stuliert wird, steht aufgrund aktueller
Studien immer noch und immer wie-
der in der Diskussion. Aktuell wird diese
Diskussion um die Wirksamkeit von
ω
3-
Fettsäuren zusätzlich dadurch erweitert,
dass sie zunehmend auch zur Präventi-
on oder Therapie neurodegenerativer Er-
krankungen eingesetzt werden. Unstrit-
tig ist die physiologische Bedeutung der
ω
3-Fettsäuren, doch an der präventiven
und der therapeutischen Wirksamkeit
gibt es weiterhin Zweifel. Dies schlägt
sich auch in einer unübersichtlichen Stu-
dienlage nieder, die mittlerweile Untersu-
chungen aus über vier Jahrzehnten um-
fasst.
Nomenklatur der Fettsäuren
Fettsäuren sind in der Regel aliphatische
Monocarbonsäuren, deren Name daher
rührt, dass natürlich vorkommende Fet-
te und Öle aus den Estern dieser Mono-
carbonsäuren und Glycerin bestehen. Die-
se Fettsäuren können anhand ihrer Ket-
tenlänge, ihrer Anzahl enthaltener Dop-
pelbindungen (gesättigt, einfach unge-
sättigt, mehrfach ungesättigt) und ihrer
Notwendigkeit der Nahrungszufuhr (es-
senziell/nicht essenziell) charakterisiert
werden. Die Ernährungsmedizin verwen-
det überwiegend noch immer die histo-
rische
ω
-Nomenklatur der ungesättigten
Fettsäuren, die die Lage der Doppelbin-
dungen vom Methylende der Fettsäu-
re ausgehend bezeichnet. Beispielswei-
se wird die Ölsäure als wichtigster Ver-
treter der einfach ungesättigten Fettsäu-
ren systematisch als cis-9-Octadecensäure,
aber in ihrer Struktur als
ω
9-Fettsäure mit
dem Lipidnamen 18:1 (
ω
9) bezeichnet.
ω
3- und
ω
6-Fettsäuren
Die
ω
3-Fettsäuren gehören zur Grup-
pe der mehrfach ungesättigten Fettsäu-
ren. Am bekanntesten sind die aus Pflan-
zen stammende
α
-Linolensäure (ALA), so-
wie die beiden in marinen Organismen
vorkommenden Fettsäuren Eicosapenta-
ensäure (EPA) und Docosahexaensäure
(DHA) (Abb. 1). Im menschlichen Körper
sind diese
ω
3-Fettsäuren an zahlreichen
physiologischen Funktionen beteiligt, un-
ter anderem:
• Strukturbestandteile von Zellmem-
branen, besonders im ZNS
• Precursor zahlreicher antiinflammato-
rischer Mediatoren (Serie-1- und Serie-
3-Eicosanoide)
• Aufrechterhaltung der physiologischen
Funktionen von Gehirn und Retina
• Bestandteile der Gallenflüssigkeit
• Strukturbestandteile des Lungen-Sur­
factants
Während es sich bei der ALA um eine es-
senzielle Verbindung handelt, die mit der
Nahrung zugeführt werden muss, können
EPA und DHA physiologisch durch Ketten-
verlängerung aus der ALA gebildet wer-
den (Abb. 1). Allerdings beträgt die Um-
wandlungsrate von ALA zu EPA und DPA
lediglich 5-10 % und ist außerdem von
der Menge der parallel aufgenommenen
ω
6-Fettsäuren abhängig, da diese über
identische Enzyme metabolisiert werden.
So wird auch die essenzielle
ω
6-Fettsäure
Linolsäure zu Arachidonsäure (AA) umge-
wandelt, die als Ausgangssubstanz ver-
schiedener proinflammatorischer Medi-
atoren an zahlreichen pathophysiolo-
gischen Prozessen beteiligt ist. Dies be-
deutet, dass bei einem
ω
6-Fettsäure-
lastigen Verhältnis der Fettsäuren in der
Nahrung endogen weniger EPA und DPA
aus ALA, dafür aber vermehrt AA aus den
ω
6-Fettsäuren gebildet wird. Hauptquel-
le dieses ungünstigen Überschusses an
ω
6-Fettsäuren sind meist tierische Fette.
Aus diesem Grund empfiehlt die Deutsche
Gesellschaft für Ernährung zur ausrei-
chenden Versorgung mit
ω
3-Fettsäuren
ein Fettsäureverhältnis in der Nahrung,
das für
ω
6- und
ω
3-Fettsäuren bei ma-
ximal 5:1 liegt.
1
Die Realität in Deutsch-
land ist aufgrund der üblicherweise sehr
fleischlastigen Ernährung ein Verhältnis
von 10:1. Dieses
ω
6-Fettsäure-lastige Ver-
hältnis trägt vermutlich maßgeblich zu
Prof. Dr. Martin Smollich
(Münster) ist
Fachapotheker für Klinische Pharma-
zie und Hochschullehrer für Klinische
Pharmakologie. Er leitet seit 2013 den
Studiengang Clinical Nutrition/Klinische
Ernährung an der Mathias Hochschule
Rheine, der sich mit evidenzbasierter Er-
nährungstherapie beschäftigt.
Omega-3-Fettsäuren in Prävention und Therapie
Was ist wirklich dran?
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