Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 1/2015 (Mai 2015) - page 7

Fortbildung aktuell – Das Journal
der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 7
Prof. Martin Smollich
bar, wenn die Kontrollgruppe kein Statin
erhielt; aufgrund der guten Evidenz für
die Wirksamkeit der Statine wäre heute
eine Studie gegen Placebo aus ethischen
Gründen nicht vertretbar. Das bedeutet:
Ein kardiovaskulär günstiger Effekt der
ω
3-Fettsäuren ist vor den physiologischen
und epidemiologischen Zusammenhän-
gen durchaus plausibel, allerdings scheint
er gegenüber einer wirksamen Statin-
Therapie offensichtlich vernachlässigbar.
2
Da mag es überraschen, dass die aktu-
ellen amerikanischen und europäischen
Leitlinien noch immer den regelmäßigen
Konsum
ω
3-Fettsäure-haltiger Lebensmit-
tel zur Prävention kardiovaskulärer Er-
krankungen empfehlen. Doch auch die-
se Empfehlung hat ihre Berechtigung:
Fisch besteht nicht nur aus
ω
3-Fettsäuren,
sondern er kann als Bestandteil einer ab-
wechslungsreichen mediterranen Ernäh-
rung durchaus zur Kardioprotektion bei-
tragen. Denn: Jede Fischmahlzeit ist ein
Verzicht auf Fleisch, und eine Reduktion
von Fleischmahlzeiten birgt tatsächlich
gesundheitliche Vorteile.
Eine praktische Schlussfolgerung lässt sich
daher aus all den Studien ziehen:
• Patienten mit Atherosklerose oder
weiteren kardiovaskulären Risikofak-
toren, die ohnehin eine leitlinienge-
rechte Arzneimitteltherapie (Statine,
ggf. auch ASS, Betablocker, ACE-Hem-
mer) erhalten, haben durch die Sup-
plementation mit
ω
3-Fettsäuren bei
unverändertem Fleischkonsum keinen
Zusatznutzen.
• Eine grundsätzliche Ernährungsumstel-
lung mit vermehrtem Fischverzehr und
einer Reduktion der Fleischgerichte ist
dagegen sinnvoll.
Omega-3-Fettsäuren und Hirnfunktion
Nachdem die
ω
3-Fettsäuren bislang we-
gen ihrer möglichen kardiovaskulären
Wirkungen im Fokus der Aufmerksamkeit
standen, rückt zunehmend ihre Bedeu-
tung für kognitive Funktionen und neu-
rodegenerative Krankheitsbilder in den
Vordergrund. Da die Prävalenz dieser Er-
krankungen seit Jahren zunimmt, wird in
Zukunft auch verstärkt die Rolle der
ω
3-
Fettsäuren in diesem Zusammenhang dis-
kutiert werden.
ω
3-Fettsäuren sind essen-
zielle Bestandteile für den Aufbau, die
Reifung und die physiologische Funkti-
on neuronaler Strukturen (Abb. 2).
6
Be-
reits im dritten Trimenon der Schwanger-
schaft kommt es im Rahmen der neuro-
nalen Entwicklung zur Akkumulation von
DHA im Gehirn des Ungeborenen, und
dieser Prozess setzt sich innerhalb der er-
sten zwei Lebensjahre weiter fort. Die
optimale neuronale Entwicklung ist hier
entscheidend von der Zufuhr an langket-
tigen, mehrfach ungesättigten Fettsäu-
ren (LCPUFA) abhängig.
6
Die wichtigsten
LCPUFAs in dieser Reifungs- und Wachs-
tumsphase sind DHA und AA, die gestillte
Säuglinge ebenso wie andere
ω
3- und
ω
6-
Fettsäuren auch über die Muttermilch er-
halten. Die Phospholipide der Lipiddop-
pelschicht neuronaler Zellmembranen
enthalten besonders hohe Anteile an
DHA, EPA und AA.
6
Das Gehirn eines er-
wachsenen Menschen besteht zu 10-15 %
aus DHA.
Neben dieser integralen Bedeutung ins-
besondere von DHA für die Hirnstruktur
spielen die
ω
3-Fettsäuren auch eine wich-
tige Rolle für die normale neurologische
Funktion: So sind EPA und DHA an der Bil-
dung und Wirkung neurophysiologisch
wichtiger Neurotransmitter wie Seroto-
nin, Noradrenalin und Dopamin beteili-
gt, sie beeinflussen die Membranfluidi-
tät, die Anpassungsfähigkeit des Gehirns
an äußere Einflüsse (Neuroplastizität), die
intrazelluläre Signaltransduktion und die
Regulation der neuronalen Genexpres-
sion. Zwar stammt der größte Teil dieser
Daten aus tierexperimentellen Untersu-
chungen, doch neuere Studien mit Men-
schen scheinen diese Zusammenhänge
bislang zu bestätigen.
7
Abbildung 2:
Neurophysiologische Funktionen von Docosahexaensäure (DHA); DHA
kann katalysiert durch die Phospholipase A2 (PLA2) aus der Lipiddoppelmembran
freigesetzt werden und so die Wirkung verschiedener Neurotransmitter regulieren.
Das aus DHA gebildete Neuroprotectin D1 (NPD1) ist ein wichtiger Regulator der neu-
ronalen Genexpression. CB
1
: Cannabinoid-Rezeptor 1, D
2
: Dopamin-Rezeptor 2, ZnT
3
:
Zink-Transporter 3.
1,2,3,4,5,6 8,9,10,11,12,13,14,15,16,17,...36
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