Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 1/2015 (Mai 2015) - page 6

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Fortbildung aktuell – Das Journal
Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe
Omega-3-Fettsäuren
de Apothek kammer Westfalen-Lippe
den ungünstigen gesundheitlichen Effek-
ten einer fleischreichen Ernährung bei.
1
ω
3-Fettsäuren und das kardiovaskuläre
System
In den vergangenen Jahren wurde im-
mer wieder gezeigt, dass EPA und DHA
vasodilatatorisch, antiarrhythmisch, li-
pidsenkend und antiinflammatorisch
wirken – alles Effekte, die sich günstig
auf die Prävalenz und den Verlauf kar-
diovaskulärer Erkrankungen auswirken
müssten. Hinsichtlich klinisch relevanter
Endpunkte wie kardiovaskulärer Morbi-
dität und Mortalität – also jenseits rein
pathophysiologischer Parameter – ist die
Datenlage nach wie vor uneinheitlich: So
gibt es zwar zahlreiche Studien, die einen
präventiven Effekt zeigen; jedoch gibt es
mindestens ebenso viele doppelblinde,
randomisierte und placebokontrollierte
Studien, bei denen ein derartiger Ef-
fekt nicht nachweisbar ist. Auch der häu-
fig diskutierte antithrombotische Effekt
der
ω
3-Fettsäuren ist tatsächlich vorhan-
den, allerdings erst in sehr hohen Dosie-
rungen, die entweder ca. 1,2 kg Hering
pro Tag oder 15 g/d DHA bzw. EPA in Sup-
plementform entsprechen. In klinischen
Studien konnte die antithrombotische
Wirksamkeit ebenfalls nicht zuverlässig
reproduziert werden. Schaut man sich die
verfügbaren Meta-Analysen an, so kön-
nen hier lediglich jene Analysen eine kar-
diovaskulär-präventive Wirksamkeit zei-
gen, die auch Studien ohne Placebo-Kon-
trolle in die Auswertung mit einschlossen.
Beinhalten die Meta-Analysen dagegen
ausschließlich placebokontrollierte Studi-
en, so zeigt die Supplementation mit
ω
3-
Fettsäuren keinen Effekt auf die Häufig-
keit von Schlaganfall, Herzinfarkt, Herz-
insuffizienz, Angina pectoris, kardiovas-
kulärer Mortalität oder Gesamtmortali-
tät.
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Zum gleichen Ergebnis kommt auch
eine Cochrane-Studie, die weder für Ge-
sunde noch für bereits kardiovaskulär Er-
krankte einen Vorteil durch
ω
3-Fettsäure-
Supplemente oder durch
ω
3-Fettsäure-
reiche Ernährung zeigte.
3
Die häufig als Beleg für die kardiovasku-
läre Wirksamkeit der
ω
3-Fettsäuren an-
geführte GISSI-Studie mit über 11000 Pa-
tienten nach Herzinfarkt aus dem Jahr
1999 weist erhebliche methodische Män-
gel auf: Zwar war das kardiovaskuläre Ri-
siko in der
ω
3-Gruppe reduziert, doch die
Kontrollgruppe erhielt statt der heute
zur Risikoreduktion üblichen Statin-The-
rapie überhaupt keine medikamentöse
Prophylaxe; zudem war die Studie her-
stellerfinanziert (Omacor®), nicht verblin-
det, nicht placebokontrolliert, ohne vor-
her definierte sekundäre Endpunkte und
hatte eine hohe Abbruchquote von 29 %.
Bis heute werden als Grundlage der Hy-
pothese, dass ein hoher
ω
3-Fettsäure-
Konsum das Risiko für kardiovaskuläre
Erkrankungen reduziert, die Untersu-
chungen von Bang & Dyerberg aus den
1970er Jahren genannt.
4
Damals wurden
jedoch nur die Ernährungsgewohnheiten
untersucht, nicht aber die Prävalenzen
kardiovaskulärer Erkrankungen. In einem
aktuellen (2014) Übersichtsartikel zur kar-
diovaskulären Morbidität der Inuit konn-
te vielmehr gezeigt werden, dass sich die
Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen
trotz des hohen Seefischkonsums nicht
von europäischen Vergleichspopulati-
onen unterscheidet.
5
Und noch mehr: Die
Inuit haben eine erhöhte Schlaganfall-
rate, eine erhöhte Gesamtmortalität und
im Vergleich zu Festlandseuropäern eine
um durchschnittlich zehn Jahre geringere
Lebenserwartung.
5
Andererseits könnte es einen plausiblen
Grund für den fehlenden klinischen Wirk-
samkeitsnachweis geben: Nahezu alle Pa-
tienten mit hohem kardiovaskulärem Ri-
siko erhalten heute eine Statin-Thera-
pie – insbesondere zur Sekundärpräven-
tion nach erstem Herzinfarkt. Anders als
in der nicht mehr leitliniengerechten Kon-
trollgruppe der GISSI-Studie erhalten heu-
tige Patienten bei Studien zur kardiopro-
tektiven Wirksamkeit von
ω
3-Fettsäuren
in der Interventionsgruppe also „Statin +
ω
3-Fettsäure“ und in der Kontrollgruppe
„Statin (mono)“. Somit könnte ein mög-
licher positiver Effekt der
ω
3-Fettsäuren
durch die Statine kaschiert werden. In
früheren Studien war der kardiovaskuläre
Vorteil entsprechend nur dann nachweis-
Abbildung 1:
Ernährungsphysiologie und Stoffwechsel der
ω
3- und
ω
6-Fettsäuren.
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