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Abpumpen und Verwerfen der Milch, die

während des Zeitfensters des höchsten

Plasmaspiegels gebildet wurde, sinnvoll

ist. Je nach Wirkstoff sind am besten ein

bis zwei Halbwertszeiten des Wirkstoffs

abzuwarten, um einen ausreichend ge-

ringen Spiegel in der Muttermilch zu er-

reichen. Erst nach fünf Halbwertszeiten

wären 97 Prozent der Dosis eliminiert und

damit dieMilch annäherndwirkstofffrei.

6,8

Da in der Regel jedoch beim Säugling nur

ein geringer Teil, etwa acht bis zehn Pro-

zent, der mütterlichen Dosis ankommt,

reichen zwei Halbwertszeiten zum Schutz

des Säuglings aus.

Neben der Lipophilie muss zudem die

Basizität der Substanzen näher betrachtet

werden. Aufgrund des pH-Gefälles von pH

7,4 im mütterlichem Plasma und pH 6,8

bis 7,1 in der Muttermilch, diffundieren

schwache Basen leichter als saure Mole-

küle – z. B. NSAR.

6,8

Milch-Plasma-Quotient

Zur Beurteilung wie ausgeprägt der Über-

tritt eines Moleküls in die Muttermilch ist,

verwendet man den Milch-Plasma-Quo-

tienten (M/P-Quotient). Je niedriger der

Wert des M/P-Quotienten ist, umso gerin-

ger ist der zu erwartende Wirkstoffspie-

gel in der Muttermilch. Allerdings gibt der

M/P-Quotient (s. Tabelle 1) nur Hinweise

auf das Maß des Übertritts, nicht auf

tatsächliche Wirkspiegel, da diese vom

Wirkspiegel im mütterlichen Plasma ab-

hängig sind, die nicht berücksichtigt sind.

Deshalb lassen sich mögliche Risiken oder

UAW für den Säugling nur unzureichend

abschätzen. Auch die Zusammensetzung

der Muttermilch selbst, die sich während

der Stillphase ändert (z. B. Kolostrum oder

reife Frauenmilch) haben Einfluss auf den

M/P-Quotienten.

Seit einigen Jahren wird zwischen vier

Übertrittsarten aus dem Plasma in die

Muttermilch unterschieden.

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Dabei wer-

den sowohl aktive als auch passive Trans-

portprozesse berücksichtigt:

· Gruppe A – annähernd, nur leicht zeit-

versetztes, paralleles An- und Abfluten

dieser Substanzen im Plasma und in

der Muttermilch, wobei fast der gleiche

Wirkstoffspiegel erreicht wird,

· Gruppe B – hier existiert ein aktiver

Transportmechanismus vom Plasma in

die Milch,

· Gruppe C – Auftreten in der Mutter-

milch nur in geringem Umfang festzu-

stellen; das Abfluten aus der Mutter-

milch ist ebenfalls sehr verlangsamt.

Geringe Mengen des Wirkstoffs können

noch in der Muttermilch vorhanden

sein, auch wenn im Plasma nichts mehr

nachzuweisen ist,

· Gruppe D – Plasma- und Milchspiegel

haben einen parallelen Verlauf.

Diese Klassifizierungen werden u. a. in

Tabelle 2 zur Empfehlung im Umgang

mit einigen ausgewählten Arzneistoffen

berücksichtigt. Zudem wurden auch die

Empfehlungen aus der embryotox-Daten-

bank in der Tabelle eingearbeitet. Es zeigt

sich, dass bezüglich der Anwendbarkeit

von den jeweiligen Wirkstoffen in der

Stillzeit nicht durchweg die gleiche Emp-

fehlung gegeben wird. Auch lassen sich

beim derzeitigen Stand der Datenlage kei-

ne Regeln ableiten. Es bleibt abzuwarten,

was die Forschung in den nächsten Jahren

hier an weiteren Ergebnissen bringt.

Was passiert beim Säugling?

Nach der Geburt stellt sich im Verlauf

von einigen Wochen und Monaten der

Organismus des Säuglings vom feta-

len Modus auf das Leben außerhalb des

Mutterleibs um. Besonders deutlich wird

die Umstellung im Blutbild. In den ersten

FALLBEISPIEL AUS CIRS NRW:

BERATUNG BEI ABGABE IST

WICHTIG

Durch ein Kind wurde in der Apotheke

für die Mutter ein Rezept über Biso­

prolol comp 5/12,5 eingelöst. Die Mut-

ter (Altersgruppe 31-40 Jahre), bringt

das Medikament einige Tage später

zurück in die Apotheke. Sie sollte das

erstmals in der Schwangerschaft ver-

ordnete Methyldopa auch während

der Stillzeit weiter einnehmen. Da ihr

dies vor Öffnen der neuen Packung

aufgefallen ist, hatte sie noch keine

Tablette von Bisoprolol comp einge-

nommen. Bisoprolol und Methyldopa

werden zur Behandlung der Hyperto-

nie eingesetzt. Dabei gilt Methyldopa

sowohl während der Schwangerschaft

als auch der Stillzeit aufgrund der Er-

fahrung und der HWZ der Substanzen

(Bisoprolol 10 bis 12 h, Methyldopa 1,5

bis 2 h) als Mittel der ersten Wahl.

Der vorliegende Fall macht deut-

lich, wie wichtig die Beratung des

Patienten im Rahmen der Abgabe

des Arzneimittels ist. Dabei wäre der

Mutter das Versehen bestimmt so-

fort aufgefallen, das nicht gewünsch-

te Arzneimittel, das nun vernichtet

werden muss, gar nicht erst abgege-

ben worden und die Verordnung hät-

te zeitnah geändert werden können.

Bei der Ersttherapie mit Betablockern

während der Stillzeit sollte auf altbe-

währte Substanzen wie Metoprolol,

Oxprenolol, Propanolol oder Pindolol

zurückgegriffen werden, da für die

neueren Wirkstoffe die Datenlage un-

zureichend ist.

TABELLE 1:

M/P-Quotient einiger ausge-

wählter Wirkstoffe

2,6

Symptome

M/P-Quotient

ASS

0,1

Ethanol

1,0

Jodid

20,0

Digoxin

0,8

Cephalosporine

0,023

Metformin

0,35-0,63

Lithium

0,5

Loratadin

1,17

Nicotin

2,9

Propanolol

0,56

Theophyllin

0,7

POSITIV BEURTEILT: STILLEN

UNTER METHADON

Stillen unter Methadon ist, sofern kei-

ne weiteren gesundheitlichen Risiken

(z. B. HIV positiv) vorliegen und neben

dem Substitutionsmittel kein weiterer

Drogengebrauch stattfindet, ohne Pro-

bleme für den Säugling möglich. Die

Methadonkonzentration in der Mut-

termilch zeigt keinen neuropsycholo-

gischen Effekt beim Säugling, da die

aufgenommene Menge relativ gering

bleibt.

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Durchschnittlich 0,02 bis 0,57

µg/ml können in der Muttermilch bei

einer mütterlichen Dosis zwischen 10

bis 105 mg/Tag nachgewiesen wer-

den. Inzwischen wird durch Geburts-

kliniken das Stillen bei stabil mit Me-

thadon eingestellten Müttern positiv

bewertet und gefördert.

AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 

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DR. CONSTANZE SCHÄFER / DÖRTE SCHRÖDER-DUMKE