Previous Page  19 / 72 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 19 / 72 Next Page
Page Background

Eine Frau betritt eilig den Kranken-

hausflur. Am Mitarbeitertreffpunkt

hält sie inne, ruft der jungen Pfle-

genden, die dort am Computer

sitzt, laut zu: „Nun sagen Sie schon,

wie geht es meiner Mutter?“ Die

junge Frau schreibt konzentriert,

hat einen Stapel Kurven vor sich

liegen. Schweigend nickt sie der

Angehörigen zu. Diese hat die

stumme Begrüßung nicht registriert

und schaut sich suchend um: „Ja,

ist denn hier überhaupt niemand?

Ich werde mich beschweren!“ Und

so hastet sie weiter.

Die ‚Gewaltfreie Kommunikation

(GFK)‘ nach Marshall Rosenberg

möchte sowohl die Wege des Um-

gangs als auch die der verbalen

Kommunikation so verändern, dass

Mitgefühl im Vordergrund steht, da

jeder Mensch die eigenen Gefühle

und Bedürfnisse spüren und äu-

ßern kann. In vier Schritten fordert

Rosenberg auf, sich mit Hilfe der

GFK neu wahrzunehmen und aus-

zudrücken:

1. beobachte statt werte

2. drücke dein Gefühl aus

3. spüre dein Bedürfnis

4. sprich eine Bitte aus

Das geschilderte Beispiel zeigt

deutlich, dass sich die Situation – je

nachdem wie man die Handlungen

der Personen wertet – völlig anders

darstellt. Die Besucherin erblickt die

am Computer schreibende Pfle-

gekraft und wertet eventuell: „Die

tut nix, die spielt rum. Die sitzen

alle immer mehr vor demComputer.

Wer kümmert sich hier eigentlich

um die Menschen?“ Die Pflegekraft

erfüllt ihre Dokumentationspflicht

am Rechner und muss sich bei der

Vielzahl der einzutragenden Werte

stark konzentrieren. Natürlich hat sie

die Frau kommen hören, hektische

Schritte, wie sie wertet. Dafür hat

sie jetzt gar keine Zeit. Ihre Kollegen

sind in den Zimmern mit der Pflege

beschäftigt.

Die GFK würde die Beteiligten auf-

fordern, gut zu unterscheiden: Was

genau beobachte ich vorurteils-

frei und was werte ich direkt? Der

nächste Schritt erfordert viel Praxis:

Wer von uns ist schon in der Lage,

in jeder Situation die eigenen Ge-

fühle zu spüren und in Worten aus-

zudrücken? Der Körper hilft dabei:

Welches Kneifen im Bauch sagt mir,

dass ich mich unwohl fühle, welche

Kurzatmigkeit, dass Überforderung

imRaum steht, welcher Kloß imHals

teilt mir die eigene Traurigkeit mit?

Schritt drei geht noch etwas tiefer

und fragt nach den dahinterste-

henden Bedürfnissen: Ich möchte

wahrgenommen werden, ich möch-

te meine Arbeit gut machen. Dazu

müssen sie als Wunsch formuliert

werden, und zwar als offenes An-

liegen, nicht als Vorwurf, als Unter-

stellung oder gar als Drohung.

Eine Frau betritt eilig den Kranken-

hausflur und spricht die Pflegekraft,

die konzentriert am Rechner ar-

beitet, freundlich an: „Bitte ent-

schuldigen Sie die Störung. Ich bin

Frau... Ich mache mir große Sorgen

um meine Mutter. Können Sie mir

Auskunft geben?“ Worauf die junge

Frau mit einem tröstenden Lächeln

zum Telefon greift und sagt: „Das

habe ich gemerkt. Aber ich glaube,

meine Kollegin kann Sie beruhigen.

Vorhin gab es gute Nachrichten.

Moment...“

Die Sprache des Herzens

Bessere Beziehungen durch ‚Gewaltfreie Kommunikation‘

CellitinnenForum 3/2017

19

Medizin | Betreuung