Und plötzlich steht man vor der Ent-
scheidung: Wie hätte meine Mutter,
mein Vater in diesem konkreten me-
dizinischen Fall entschieden? Eine
lebensverlängernde Behandlung,
eine weitere Operation? Wenn der
Angehörige nach dem Schlagan-
fall oder dem Herzinfarkt nicht bei
Bewusstsein ist und doch nur reden
könnte. Viele Menschen haben für
solche Fälle eine Patientenverfü-
gung erstellt, aber genügt diese
überhaupt noch den gesetzlichen
Anforderungen und hilft sie in einer
speziellen Situation weiter?
Der Gesetzgeber hat das Problem
erkannt und den Willen der Bewoh-
ner von Pflegeeinrichtungen der Al-
ten- und Behindertenhilfe im Hos-
piz- und Palliativgesetz gestärkt.
Durch die Möglichkeit, eine ge-
sundheitliche Versorgungsplanung
anzubieten, können Einrichtungen
mit den gesetzlichen Krankenkas-
sen einen Vertrag zur Refinanzie-
rung der Gespräche schließen. Ge-
schulte Gesprächsbegleiter können
dann die Bewohner dabei unter-
stützen, den eigenen Willen in Be-
zug auf Behandlungsmöglichkeiten
herauszufinden, für den Fall, dass
sie diesen nicht mehr selbst äußern
können. Das BVP-Konzept geht in
Umfang und Detailgenauigkeit sehr
viel weiter als eine gängige Patien-
tenverfügung. Die ‚gesundheitliche
Versorgungsplanung für die letzte
Lebensphase‘ ist zeitintensiv, denn
nicht immer liegen die Wünsche
klar auf der Hand. Die Gesprächs-
begleiter tasten sich behutsam vor,
erforschen zunächst die Einstel-
lung des Bewohners zum Leben, zu
Krankheit und zum Sterben. Dabei
spielen auch religiöse oder spiri-
tuelle Überzeugungen eine Rolle,
bevor man auf konkrete Notfall-
situationen zu sprechen kommt.
Was ist, wenn eine medizinische
Behandlung keine Aussicht mehr
auf Besserung der Lage verspricht?
Sollen in einer lebensbedrohlichen
Krise Notfall- und Intensivtherapie
eingeleitet werden oder gibt es Si-
tuationen, wo dies nicht gewünscht
wird? Wie steht der Bewohner zu
künstlicher Ernährung? Soll die
Sterbephase im Gebet begleitet
werden? – Diese und ähnliche Fra-
gen sprechen die Berater offen an.
„Über das eigene Sterben nach-
zudenken und so offen darüber zu
sprechen, ist nicht einfach“, weiß
BVP-Gesprächsbegleiterin Sabine
Westerfeld. „Oft erlebe ich bei den
Bewohnern aber eine Erleichterung,
es dann doch getan zu haben und
zu wissen, dass im Fall der Fälle ihr
Wille zählt.“ Solange die Bewohner
einwilligungsfähig sind, kann die
erweiterte Patientenverfügung auch
jederzeit widerrufen oder geändert
werden.
Der BVP Prozess umfasst mindes-
tens zwei ausführliche Gespräche,
die rund anderthalb Stunden dau-
ern. Anschließend fasst der Berater
die Ergebnisse schriftlich zusam-
men und alle Beteiligte unterschrei-
ben das Dokument. „Es ist wichtig,
dass neben den Bewohnern auch
Angehörige und Vorsorgebevoll-
mächtigte teilnehmen. Das gibt
allen Beteiligten mehr Sicherheit
und erweitert den Blickwinkel auf
bestimmte Fragen“, erklärt Wes-
terfeld.
„Wenn ich nicht mehr reden kann…“
‚Behandlung im Voraus planen (BVP)‘ dokumentiert den Patientenwillen
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CellitinnenForum 3/2019