unter Hochdruck. Ebenso bei Ver-
letzungen oder Fehlfunktionen der
Organe, wie bei Entzündung der
Bauchspeicheldrüse, bei Tumoren
und Herzinfarkten.
Neben diesen Akutschmerzen gibt
es noch den chronischen Schmerz.
Dabei haben die Nozizeptoren auf
Daueralarm geschaltet oder Infor-
mationen leitende Nervenfasern
sind geschädigt. Auch psychische
Belastungen wie Stress können
Schmerzen hervorrufen, zum Bei-
spiel im Magen-Darm-Bereich, im
Rücken oder am Herzen. Bei ei-
nigen Patienten verselbstständigt
sich der Schmerz, ist nicht mehr
Folge einer Reizung, Verletzung
oder Krankheit, sondern wird zu
einem eigenen Problem. Hat der
Akutschmerz, so ungern wir ihn
spüren, noch die lebensnotwendige
Funktion, Alarm zu schlagen, wenn
etwas am oder im Körper nicht
stimmt, sind chronische Schmer-
zen eine dauernde Belastung, die
mit der Zeit Körper und Psyche
schädigen. Sie zu behandeln er-
fordert viel Fingerspitzengefühl und
Geduld.
„Ein Indianer kennt
keinen Schmerz“
Während nach derzeitigen wis-
senschaftlichen Erkenntnissen die
Schmerzempfindungsschwelle
bei allen Menschen gleich ist, be-
stimmen gesellschaftlich-kulturelle
Unterschiede, wie auf Schmerzen
reagiert wird. Wie geht eine Kultur
allgemein mit Gefühlen um? Was
ist angemessen, was gilt als un-
schicklich? Während in Mittel- und
Nordeuropa sowie im nordame-
rikanischen Raum ‚die Zähne zu-
sammengebissen werden‘, gilt im
Mittelmeerraum und in Vorderasien
nur derjenige als krank, der seine
Hilfsbedürftigkeit laut und deutlich
zum Ausdruck bringt. Die vonei-
nander abweichenden sozio-kul-
turellen Muster führen außerhalb
des eigenen Kulturkreises imDialog
zwischen Arzt, Pfleger und Patient
schnell zu Missverständnissen und
Fehlinterpretationen.
Auch die Religiosität spielt im Um-
gang mit Schmerzen eine Rolle.
Manche fromme Menschen deu-
ten Schmerzen als Strafe, Prüfung
oder Botschaft Gottes, die entweder
laut oder leise, auf jeden Fall aber
demütig hinzunehmen sind. Fol-
gerichtig verzichten diese Patien-
ten nicht selten auf die Einnahme
von Schmerzmedikamenten, was
wiederum auf das Unverständnis
vieler Mediziner stößt. Selbst das
Lokalisieren und Beschreiben der
Schmerzen hängt vom Kulturkreis
ab. Während Mittel- und Nordeuro-
päer dem Schmerz rational auf die
Schliche kommen möchten – Bein,
Bauch, Brust; pochen, stechen,
brennen –, erleben ihn Menschen
aus der Mittelmeerregion als etwas
nicht nur auf ein Organ oder einen
Bereich Beschränktes. Das stellt den
in Deutschland sozialisierten Arzt vor
eine Herausforderung. Auf die Frage
„Wo tut es denn weh?“ wird er keine
brauchbare Antwort erhalten, denn
„es schmerzt überall“. In solchen
Situationen braucht es multikulturelle
Kompetenzen, um den Kern des
Übels ausfindig zu machen.
Warum können einige Menschen
über Glasscherben laufen oder
scheinbar bequem auf einem Na-
gelbrett liegen, während bei den
meisten allein der Gedanke daran
ausreicht, die körpereigenen Nozi-
zeptoren wachzurütteln?
Den Schmerz ‚wegdenken‘
Die individuelle Schmerztoleranz-
grenze lässt sich durch Atem- und
Entspannungsübungen erweitern.
Diesen ‚Trick‘ benutzen auch Fa-
kire. Indem sie sich beispielsweise
gezielt auf ihren Atem konzentrie-
ren, lenken sie ihr Bewusstsein von
den Schmerzen ab. Ein Baustein in
der Therapie chronischer Schmerz-
patienten basiert ebenfalls auf sol-
chen ‚Aufmerksamkeitsverschie-
bungen‘. Auch wer lacht, möglichst
in einer Gruppe, nimmt Schmerzen
weniger intensiv wahr. Die Wissen-
schaftler gehen davon aus, dass die
freigesetzten Glückshormone, die
Endorphine, dem Körper bei der
Schmerzbewältigung helfen.
Nur sehr wenige Menschen emp-
finden tatsächlich keine Schmer-
zen. Durch eine Genmutation hat
sich bei ihnen das sogenannte
‚Fakir-Gen‘ ausgebildet. Das mag
auf den ersten Blick verlockend er-
scheinen. Tatsächlich ist es lebens-
bedrohlich. Denken Sie nur einmal
an die Folgen einer nicht bemerkten
und nicht rechtzeitig therapierten
Blinddarmentzündung.
In den folgenden Artikeln kommen
wir den Schmerzen auf die Spur. In
unseren Kranken- und Senioren-
häusern arbeiten Ärzte und Pfle-
gende daran, dass Patienten nicht
mehr ‚die Zähne zusammenbeißen
müssen‘.
Titel | Thema
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CellitinnenForum 1/2019