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JURISPRUDENCE

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poenale

6/2016

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Stämpfli Verlag

(objektiven oder subjektiven) Tatbestandselements zugleich

den zivilrechtlichen Anspruch «nicht spruchreif» macht,

wäre die Verweisung auf den Zivilweg die zwingende Folge;

entgegen dem Obergericht ist aber sehr wohl denkbar, dass

eine strafrechtliche Verurteilung unterbleiben muss, zu­

gleich aber der zivilrechtliche Anspruch genügend geklärt

ist. Und weil der zivilrechtliche Anspruch eben nicht auf der

Grundlage allein von Art. 41 OR bestehen muss, sondern

auf irgendwelche anderen Grundlagen beruhen kann, ist es

unzutreffend, aus der blossen Verneinung der Straftat auf

einen nicht geklärten, nicht spruchreifen Zivilanspruch

zwingend zu schliessen.

IV.

10. Das Obergericht hätte ganz einfach und ganz an­

ders überlegen müssen: Es hätte nur, aber immerhin fest­

stellen können, dass entgegen der Vorinstanz der Sach­

verhalt doch nicht spruchreif gewesen sei, also der Fall von

Art. 126 Abs. 2 lit. d. StPO vorliegt. Und diese «Unklar­

heit» hätte es aus anderen Umständen als dem blossen Frei­

spruch (bzw. der Verneinung der Straftat) ableiten müssen.

Wir lesen aber im Entscheid gerade nicht, dass der Sach­

verhalt zivilrechtlich nicht spruchreif gewesen sei, und

schon gar nicht erfahren wir, warum bzw. woraus sich diese

Unklarheit ergeben hat. Vielmehr lesen wir nur, dass es bei

Freispruch keine Entscheidung über die Adhäsionsklage

geben dürfe. Damit liegt das Obergericht allerdings falsch,

und zwar nicht nur im Lichte der Lehre und des Gesetzes­

wortlauts, sondern auch der einschlägigen Bundesgericht­

spraxis. Dass der Strafrichter allenfalls weniger gründlich

als der ordentliche Zivilrichter einen zivilrechtlichen An­

spruch prüft, ist zwar denkbar, aber weder zwingend noch

gar die Regel. Und hätte der Gesetzgeber kein Vertrauen

in die zivilrechtlichen Kompetenzen der Strafgerichte ge­

habt, hätte er den Adhäsionsprozess entweder ganz abge­

schafft oder seinen Anwendungsbereich (eng) begrenzt.

Genau das hat er nicht getan, und der Versuch, eine solche

Eingrenzung aus der StPO abzuleiten, ist dem Obergericht

jedenfalls nicht in überzeugender Weise gelungen. Die Sub­

sumptionsund Auslegungsleistung besteht entgegen dem

Obergericht nur darin, dass man feststellt, ob der zivil­

rechtlich relevante Sachverhalt geklärt oder eben «spruch­

reif» ist. Dann aber muss der Strafrichter als Zivilrichter

auch materiell entscheiden.

Dr. Matthias Schwaibold

Gedanke insoweit, als dass er sich nicht auf irgendwelche –

zivilrechtlichen – Ansprüche bezieht, sondern tatsächlich

nur die, welche ihre Ursache in der klägerseitig unterstell­

ten, zur Anklage gebrachten Straftat haben. Zu ergänzen

ist: Schon aufgrund der Parteirollen kann es sich nur um

Ansprüche gegenüber dem Angeklagten bzw. Täter handeln

und nicht um solche, die gegenüber Dritten bestehen. Aus

dem Zusammenspiel der Art. 115, 119 und 122 ff. StPO

lässt sich gar nichts Anderes ableiten, als dass es nur um

Ansprüche im direkten Verhältnis von Täter und Opfer,

Angeklagtem und Geschädigtem gehen kann.

7. Mithin ist festzuhalten: Im Strafprozess ist über alle

Zivilansprüche zu entscheiden, die sich aus der vom Gericht

zu beurteilenden Straftat im Verhältnis von Geschädigtem

und Täter ergeben und die der Geschädigte im Verfahren

auch geltend macht; der zivilprozessualen Dispositionsma­

xime entsprechen die Vorschriften von Art. 115 und 119

StPO – der Geschädigte muss Anträge stellen, und nur über

gestellte Anträge kann der Strafrichter auch als Zivilrichter

entscheiden.

III.

8. Das Obergericht steht vor dem Problem, dass es ei­

nerseits die Ansprüche, die adhäsionsweise geltend gemacht

werden können, an die Straftat bindet, und zugleich – ge­

wiss logisch – einen Freispruch als das Gegenteil einer Straf­

tat betrachtet, somit der Adhäsionsklage die Grundlage ent­

zogen sieht. Es bemüht sich, die einschlägigen Regelungen

der StPO einzig vor dem Hintergrund einer strafrechtlichen

Verurteilung zu lesen. Diesen Ansatz hat der Gesetzgeber

allerdings positivrechtlich zerstört. Er sagt nämlich, dass

auch bei Freispruch über den Zivilanspruch zu entscheiden

ist. Die StPO hat, in dieser Hinsicht wohl auch lückenlos,

beide Möglichkeiten geregelt, nämlich den Fall des Schuld­

spruchs in Art. 126 Abs. 1 lit. a., und den Fall des Frei­

spruchs in Art. 126 Abs. 1 lit. b. Und sie hat beim Freispruch

gerade nicht angeordnet, dass dann der Zivilanspruch auf

den Zivilweg zu verweisen sei. Diese Folge ordnet sie eigens

in Art. 126 Abs. 2 und zwar für vier Sachverhalte. Unter

diesen vier ist auch wieder der Freispruch in lit. d. Aber die

beiden Bestimmungen beim Freispruch sind völlig wider­

spruchslos: Es gibt entweder den Freispruch, bei dem der –

zivilrechtliche! – Sachverhalt spruchreif ist (Abs. 1 lit. b.),

oder bei dem er nicht spruchreif ist (Abs. 2 lit. d.). Tertium

non datur.

9. Was das Obergericht überlegt, ist demgegenüber we­

der überzeugend noch im Lichte der eindeutigen, und ein­

deutig aufeinander abgestimmten, widerspruchsfreien Be­

stimmungen der StPO richtig. Nur dann, wenn der

Sachverhalt «nicht spruchreif» ist, ist bei Freispruch auf den

Zivilweg zu verweisen. Das Obergericht glaubt, das Prob­

lem dadurch zu lösen, dass es sagt, eine Verneinung des ob­

jektiven Tatbestands hindere eine Beurteilung der Adhäsi­

onsklage – was indessen gerade nicht der gesetzlichen

Regelung entspricht. Nur dann, wenn die Verneinung eines