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öffentlichen Wirken in der Wüste,

wie in der Heiligen Schrift berichtet

wird. Die Zahl 40 verbindet auch

an anderen Stellen Bedeutungs-

gehalt von Buße, Erwartung und

Vorbereitung, wenn man etwa an

die 40 Tage der Sintflut denkt oder

die 40 Tage und Nächte, die Moses

auf dem Berg Sinai verbrachte.

Auch in anderen Religionen gibt

es eine mehr oder weniger stark

ausgeprägte Fastenpraxis. Im Islam

hat das Fasten imMonat Ramadan

eine besondere Bedeutung. Das

CellitinnenForum sprach dazu mit

Dr. Hakan Ösün, der als Facharzt

im Kölner Heilig Geist-Krankenhaus

arbeitet.

Herr Dr. Ösün, Ihre Familie stammt

aus der Türkei, sie sind aber schon

in Deutschland geboren. Sind Sie in

Ihrer Familie mit dem Fasten groß-

geworden?

Ja, ich bin in Deutschland geboren

und aufgewachsen, genauer ge-

sagt im Heilig Geist-Krankenhaus

geboren und im Kölner Norden auf-

gewachsen. Ich bin mit dem Fas-

ten großgeworden, meine Eltern,

meine Geschwister und ich haben

gefastet.

Welche Bedeutung hat das Fasten

für Sie?

Fasten im Islam ist eine Form des

Gottesdienstes. Das Fasten im

Monat Ramadan gehört zu den so-

genannten fünf Säulen des Islam,

also zu den Hauptpflichten, die ein

Muslim als Gottesdienst durchführt.

Halten Sie die Fastenregeln streng

ein? Wie fasten Sie?

Das Fasten im Islam heißt, dass

der Muslim bzw. die Muslima von

Beginn der Morgendämmerung

bis zum Sonnenuntergang nichts

isst, nichts trinkt und sich des Bei-

schlafs mit dem Ehepartner enthält.

Das ist das ‚äußere‘ Fasten. Das

Fasten hat aber auch eine ‚innere‘

Dimension. Der Muslim soll dem-

nach im Ramadan noch mehr als

sonst darauf achten, sich gänzlich

von Sünde freizuhalten, das heißt

nichts Verwerfliches bewusst an-

schauen, nichts Schlechtes reden,

auf nichts Böses hören und nichts

Verabscheuungswürdiges tun.

Denn Fasten heißt erkennen, dass

man in Wahrheit einzig und allein

von Gott abhängig ist. Zugleich

soll sich der Fastende darüber

klar werden, dass er sich von ver-

meintlicher Abhängigkeit lossagen

kann und muss. Er ist ein Pilger,

der sich mit seinem Fasten zu sei-

nem Schöpfer aufgemacht hat und

alles, woran er gewöhnt ist, was

er aber nicht unbedingt benötigt,

hinter sich zurücklässt. Zudem be-

schäftigt sich der Muslim, wenn er

fastet, intensiver mit den Gebeten

oder dem Lesen des Korans. Ob

man die Regeln streng auslegen will

oder nicht, ist jedem Muslim selbst

überlassen.

Wie gehen Sie bei der Arbeit mit

dem Fasten um?

Die ersten Tage des Fastenmonats

sind anstrengend, aber der Glaube

gibt einem Kraft. In den darauf-

folgenden Tagen gewöhnen sich

Körper und Geist an das Fasten.

Man konzentriert sich aufs Arbeiten

und stellt in sich selbst fest, wie

die eben angesprochenen ‚inne-

ren‘ Dimensionen zum Vorschein

kommen. Man beschäftigt sich in-

tensiver mit dem Islam.

Wie gehen die Kollegen damit um?

Überraschenderweise zeigen die

Nichtmuslime deutlich mehr Ver-

ständnis als manche Muslime.

Häufig werde ich von Muslimen

kritisiert, die nicht im Ramadan

fasten. Warum dies so ist, kann

ich mir nicht erklären. Sie bringen

fragwürdige Argumente vor wie:

„Das ist nicht gesund.“ Auch Nicht-

muslime argumentieren in diese

Richtung. Ich erkläre dies dann

so: Jeder Mensch sucht nach einer

Herausforderung oder man kann es

auch als ‚Kick‘ beschreiben. Wa-

rum springen Menschen aus einem

Flugzeug mit einem Fallschirm oder

steigen auf den Mount Everest,

was bringt ihnen das, außer sich

in große Gefahr zu begeben? Mit

Logik oder Vernunft ist dieses Ver-

halten schwer zu erklären. Es ist die

Herausforderung, der ‚Adrenalin-

Kick‘, über sich hinaus zu wachsen.

Für mich ist der Fastenmonat, der

‚spirituelle‘ Kick einerseits, da es

meinen Körper und meine Seele

reinigt, aber das allerwichtigste, es

ist ein Gebot Allahs (Gottes).

CellitinnenForum 1/2016

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Glauben | Leben