Dr. Helga Blasius
Wer heute in unserem hektischen Ar-
beitsleben mithalten will, muss flexi-
bel, stets verfügbar und belastbar sein
und zudem über ein gutes soziales An-
passungsvermögen verfügen. Das schaf-
fen aber längst nicht alle. Unerfreuliche
Folgen der Überforderung sind „Burn-
out“ und „Mobbing“, und das nicht nur
im Berufsleben sondern auch schon bei
Schülern und Studierenden. Immer mehr
Menschen greifen aus diesen Gründen
zu Medikamenten, um den Stress bes-
ser bewältigen zu können, um „besser
drauf“ zu sein oder um die geistige Leis-
tungsfähigkeit anzukurbeln. Die Mit-
tel aus verschiedenen Substanzgruppen
werden von überwiegend Gesunden oh-
ne therapeutische Indikation eingenom-
men. Arzneimittelrechtlich betrachtet ist
das als Off-label use beziehungsweise
Missbrauch zu interpretieren. Apotheker
haben hier eine erhebliche Verantwor-
tung in der Beratung. Da heißt es Augen
und Ohren auf bei der Abgabe und auch
mal nachfragen.
Definitionen
Wichtige Definitionen in diesem Zusam-
menhang sind Tabelle 1 zu entnehmen.
Demnach sind Neuroenhancement und
Hirndoping nicht dasselbe. Sowohl in der
Literatur als auch im allgemeinen Sprach-
gebrauch werden die Definitionen aber
nicht immer einheitlich verwendet.
Im Wesentlichen losgetreten wurde die
internationale Diskussion über das ko-
gnitive Enhancement mit der Veröffentli-
chung der Ergebnisse einer Studie im Auf-
trag des Wissenschaftsmagazins „Nature“
aus dem Jahr 2008. Von 1.400 zum Thema
„Hirndoping“ befragten Lesern aus 60
Ländern hatte rund ein Fünftel schon ein-
mal ohne medizinische Gründe Medika-
mente zur Steigerung von Konzentration
und Gedächtnisleistung eingenommen,
davon 62 %Methylphenidat, 44 %Moda-
finil und 15 % Betablocker.
4
Nach neue-
ren Publikationen scheint das Problem in
den USA erheblich verbreiteter zu sein als
in Europa.
DAK-Gesundheitsreport 2009 und 2015
In Deutschland ist die Datenlage zum
Neuroenhancement relativ dürftig. Im
Jahr 2009 widmete sich der Gesundheits-
report 2009 der Deutschen Angestell-
ten-Krankenkasse (DAK) erstmals dem
Schwerpunkt-Thema „Doping am Ar-
beitsplatz“. Im Rahmen einer repräsenta-
tiven, online-gestützten Bevölkerungsbe-
fragung waren im Jahr 2008 3.000 aktiv
Erwerbstätige im Alter zwischen 20 und
50 Jahren zur pharmakologischen Kom-
pensation von Stressbelastungen am Ar-
beitsplatz ohne medizinisch triftige Grün-
de befragt worden. Der Fokus lag hierbei
auf verschreibungspflichtigen Psychosti-
mulantien (Methylphenidat, Modafinil),
Mitteln gegen Demenz (z. B. Donepezil),
Antidepressiva und Betablockern. 17 %
der Befragten (10 % der Männer, mehr als
25 % der Frauen) gaben damals an, schon
einmal Arzneimittel zu dem genannten
Zweck eingenommen zu haben. Nicht als
Doping wurde dies allerdings eingestuft,
wenn die Arzneimittel über ein ärztliches
Rezept oder ohne Rezept abseits der ge-
regelten Abgabe von Arzneimitteln be-
zogen worden waren oder wenn es sich
Verwendung von Arzneimitteln zum Neuroenhancement
Dr. Helga Blasius
(Remagen) ist Apothe-
kerin mit der Weiterbildung als Apothe-
kerin für Arzneimittelinformation und
Diplom-Übersetzerin für Japanisch und
Koreanisch. Seit 1991 ist sie freiberuflich
in den Bereichen Fachjournalismus, wis-
senschaftliche und regulatorische Bera-
tung und Übersetzungen tätig.
23
Fortbildung aktuell – Das Journal
Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe
Fortbildung aktuell – D s Journal
der Apoth kerkammer Westfalen-Lippe 23
Neuroenhancement
(NE)
ist jeder Versuch, die kognitive Leistung zu steigern, das psy-
chische Wohlbefinden zu verbessern oder Ängste und Nervo-
sität abzubauen. Dazu gehören z. B. Meditation, Alltagsstimu-
lantien, wie Tee oder Kaffee, illegale Drogen, wie Kokain und
verschreibungspflichtige Medikamente, die nicht indikations-
gemäß zur Leistungssteigerung eingesetzt werden.
Pharmakologisches
Neuroenhancement
(pNE)
Einnahme verschreibungspflichtiger Medikamente zum NE
„Hirndoping“
Einnahme von verschreibungspflichtigen Medikamenten oder
illegalen Drogen zum NE
Soft-Enhancement
NE mit nicht-rezeptpflichtigen Arzneimitteln (z. B. Ginkgo
Biloba, Johanniskraut, Koffeintabletten) und Nicht-Arznei-
mitteln, wie etwa Nahrungsergänzungsmitteln.
Tabelle 1:
Wichtige Definitionen
1,2,3
Nicht über- aber auch nicht unterschätzen