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es weiter; wenn er annehmen kann und

für die eigene Entwicklung bereit ist.

Kann ich mich mit so einer Einstel-

lung identifizieren? Sicherlich ist dies

eine wichtige Eingangsvoraussetzung für

die Anwendung des MI. Wir brauchen

Selbstdisziplin (hier kann Zurückhaltung

und Bescheidenheit gefragt sein), eine

aufrichtige ruhige Einstellung und den

entsprechenden offenen Geist (genannt

MI-Spirit") dazu und natürlich das zu-

grundeliegende aufrichtige Interesse am

Patienten.

RULE yourself – not your client!

Wenn ich in der Begegnung mit dem Pati-

enten an den Punkt komme, dass ich ein

Problem erkenne und der Patient dieses

möglicherweise auch offen zum Ausdruck

bringt und ich sehe, dass ich dem Patien-

ten Lösungswege für sein Problem anbie-

ten kann, dann beginnt die Arbeit des MI

und der gesamte Ablauf lässt sich einfach

zusammenfassen:

RULE.

Leider führt die – förderlich gemein-

te – Äußerung guter und sachlich richtiger

Argumenten für die Therapie und erfor-

derlichen Verhaltensänderungen oft nicht

zum Erfolg. Warum ist das so? Unent-

schlossen sitzt der Patient zwischen allen

Stühlen, er ist ambivalent. Bei einer Kon-

frontation mit Pro-Veränderungsargu-

menten wird die Mehrheit der Menschen

als Reaktion eine Rechtfertigung vorbrin-

gen und darüber sprechen, warum das für

ihn NICHT geht. Dieser „ja-aber-Reflex“

ist bei solcherlei als direkt empfundener

Konfrontation fast unvermeidlich, wir ha-

ben ihn in die Defensive gebracht und er

verteidigt sich. Analog einem Pendel, das

nach starker Auslenkung in die Gegenrich-

tung schwingt (vgl. Abb. 1).

Dabei helfen einige Aha-Affekte in Be-

zug auf die Therapiewiderstände, die wir

beim Patienten vorfinden:

• Niemand ist im Veränderungsprozess

gänzlich unmotiviert, jeder ist mitunter

ambivalent.

• Leugnen ist keineCharaktereigenschaft.

• Widerstände sind keine Persönlich-

keitsmerkmale, sondern Folge von Au-

tonomieverletzungen, also eine Form

des Selbstschutzes.

Im Ergebnis redet sich der Patient hier also

selbst in die unerwünschte Form seiner

Ambivalenz hinein: die Kontra-Position

wird eingenommen bzw. verstärkt.

Da Menschen dazu neigen, insbeson-

dere dem Glauben zu schenken, was sie

sich selbst sagen hören, möchten wir ver-

meiden, dass der Patient die Argumente

für sein therapiehemmendes Verhalten

erneut ausspricht und somit verstärkt.

Wie wäre es besser? Wir wollen, dass

der Patient selbst positiv über eine Ver-

haltensänderung spricht und die Absicht

sich zu ändern in eigenen Worten zum

Ausdruck bringt. Im MI wird von „

Change

Talk

“ gesprochen. Man könnte sagen, dass

ein Teil der Zielsetzung des MI ist,

Change

Talk

zu generieren (Comic C). Daher lautet

die erste Botschaft an den Patienten, dass

wir ihn so annehmen wie er ist, denn das

ebnet den Weg für den Veränderungs-

willen des Patienten. Es ist wichtig den

Ist-Zustand zu würdigen, damit es für

den Patienten – scheinbar paradoxerwei-

se – einfacher wird einen Veränderungs-

willen zu entwickeln (sogenannter parado-

xer Veränderungswille).

Understand – Was bewegt den

Patienten?

Einerseits sind die Gründe gegen eine

Veränderung für uns wichtige Schlüssel

zum Verständnis. Handelt es sich um ein

schlichtes Missverständnis oder fehlen-

des Problembewusstsein? Hat der Patient

keine Zuversicht aufgrund von eigenen

Erfahrungen oder ist er verunsichert von

zu viel oder zu wenig Information? Wie

stark ist die Ambivalenz zuungunsten der

Therapie? Es kann viele Gründe geben, von

denen manche gegebenenfalls schnell

auszuräumen sind. An dieser Stelle ist be-

reits Vorsicht geboten, um nicht in den

traditionell verwendeten Blickwinkel der

Insuffizienz, Fehlerhaftigkeit oder Schwä-

che zu verfallen. Diese Perspektiven tra-

gen unsere Patienten bereits zu Genüge in

sich und hören sie permanent in den un-

terschiedlichsten Zusammenhängen. Für

die motivierende Gesprächsführung ist

es noch wesentlich wichtiger, die Gründe

für eine Veränderung zu finden. Und zwar

solche, die für den Patienten für eine Än-

derung sprechen, denn nicht unsere Argu-

mente sondern seine eigenen werden ihn

am besten überzeugen und motivieren

können (vgl. Abb. 2).

Nachteile

Vorteile

… wenn ich nichts verändere

(an meinem schädlichen

Verhalten)

Zustandsverschlechterung mit

Atemnot, Verlust an

Lebensqualität, Sport und

andere Hobbies leiden,

Klamotten stinken, Angehörige

leiden, verkürzte

Lebenserwartung und alles

was auf der Packung steht…

Gemeinschaft mit anderen

Rauchern, ggf. Kick oder

sogar Genussmomente,

bestimmte Gewohnheiten

können beibehalten werden

… wenn ich mein Verhalten

verändere

Nicht mehr „dazu“ gehören,

aktive Anstrengung der

Gewohnheitsänderung, immer

wieder ist die Anstrengung um

einen Rückfall zu vermeiden,

man wird sich möglicherweise

selbst ekeln wenn andere

rauchen, befürchtete

Gewichtszunahme

...

Es werden Dinge möglich, die

bisher unmöglich waren:

Geschmackssinn kehrt zurück,

Gewinn an Lebenszeit und -

qualität, Bestätigung für das

eigene Durchhaltevermögen,

gesteigerter Selbstwert,

Anerkennung und Dankbarkeit

von nichtrauchenden

Mitmenschen, Geld sparen…

Vier-Felder-Matrix

(nach Petry)

Argumente, Gefühle, Einstellungen, Selbstbild, Fähigkeit

ABBILDUNG 2:

Die Vier-Felder-Matrix verdeutlicht die Dynamik des ungelösten inneren

Konfliktes des Patienten. Jede Veränderung erfordert Mut zum Aufbruch ins Unbekann-

te und zum Loslassen von Gewohnheiten. Gesprächsführung im Stil des MI ermöglicht

es dem Patienten, aufbauend auf seinen Wertvorstellungen, die vier Felder aus einem

anderen Blickwinkel zu betrachten. Neue Aspekte können freigelegt werden, überholte

Überzeugungen werden erkannt. In Analogie zu einer Waage hilft der Apotheker dabei,

die Gewichte anders zu setzen, ohne dabei dieWaage mit eigenen Gewichten zu belegen.

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 / AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal

MOTIVIERENDE GESPRÄCHSFÜHRUNG