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Schmerz ist etwas zutiefst Indivi-

duelles. Was dem einen Menschen

weh tut, kann höchst unterschied-

liche Ursachen haben, einen sehr

eigenen Verlauf undmuss eineman-

deren Menschen überhaupt nichts

ausmachen. Ein Schmerzmittel für

alle gibt es nicht, schon gar nicht,

wenn ein Mensch am Lebensen-

de verschiedenen Schmerzantei-

len begegnet, die über das kör-

perliche Empfinden hinausgehen.

Cicely Saunders, die Begründerin

der Hospizbewegung, beschreibt

aus ihrer Arbeit mit Krebspatien-

ten, das Phänomen des ‚totalen

Schmerzes‘, der sich aus weit mehr

Komponenten als den körperlichen

und seelischen zusammensetzt.

Schmerzerleichterung, so sieht sie

den Weg, ist dann spürbar, wenn

alle Aspekte des Schmerzes be-

rücksichtigt werden: der körper-

liche, der seelische, der soziale und

der spirituelle Schmerz. Dieses ‚to-

tal pain-Konzept‘ beschreibt das

Erleben ganzheitlich und wurde

zumMarkenzeichen palliativer Me-

dizin in der Sterbebegleitung. Cicely

Saunders zitiert einen Patienten.

Er sagte: „Es begann in meinem

Rücken, Doktor, und nun fühlt es

sich an, als sei alles in mir kaputt.

Ich könnte nach Tabletten oder

Spritzen rufen, aber ich weiß, dass

es nicht das ist, was ich brauchte.

Es ist, als ob niemand verstehen

würde, was ich wirklich fühle; es

ist, als ob die ganze Welt gegen

mich wäre.“

Viele Menschen denken linear über

Schmerz: Da entsteht eine Verlet-

zung, die Schmerz bereitet, also

muss es etwas geben, zumBeispiel

ein Medikament, das den Schmerz

wegnimmt Und dann muss alles

wieder wie vorher sein, also gut.

Die Schmerzarbeit von Hospizmit-

arbeitern und ihren Gästen – so

werden die Patienten im Hospiz

genannt – beginnt im Grunde da,

wo der Schmerz weg ist, der Krank-

heitsweg aber unumkehrbare Ver-

änderung in der Psyche, im sozialen

und spirituellen Leben eines Men-

schen bewirkt hat. Das Versagen

der Therapie ist die Chance für das

Sich-Mitteilen über das neue Stück

des Weges. Oder wie es der Sänger

Leonard Cohen ausgedrückt hat:

„Alles hat einen Riss. So fällt Licht

hinein.“

Erfahrungen aus dem

Hospizalltag

Seit nunmehr zwanzig Jahren be-

steht das Hospiz St. Marien in Nip-

pes. Zunächst war es als Hospiz

St. Vinzenz in Räumen der gleich-

Schmerz bis zum Ende begleiten

Erfahrungen aus dem Kölner Hospiz St. Marien

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CellitinnenForum 1/2019