hinter, der seelische Schmerz, der
sich auf vielfältige Weise äußert.
Dafür brauchen wir die unmittel-
bare menschliche Zuwendung,
die jeder von uns den Gästen
schenkt.
Die Begründerin der Hospizbewe-
gung, Cicely Saunders, spricht von
‚total pain‘, den Rundum-Blick auf
den Schmerz. Wie erleben Sie das
bei Ihren Gästen?“
Tomislav Rubcic: Wir hören und
spüren viele berührende Lebens-
geschichten. Ich blicke auf eine
lange Berufserfahrung zurück.
Waren es vor zehn Jahren noch
traumatische Kriegserlebnisse,
die bei hochbetagten Gästen am
Lebensende hochkamen und ver-
schmerzt werden wollten, sind
es nun Überlebenstraumata der
Nachkriegsgeneration, also sehr
grundlegende Themen wie Hun-
ger, Heimat, Sicherheit, die sich hier
Bahn brechen. Oder auch Schuld
und Reue, wenn jemand in diesen
harten Zeiten an einem anderen
schuldig wurde und vielleicht fünfzig
Jahre darüber geschwiegen hat.
Da ist der Wunsch, all das loszu-
werden, bevor man geht. Vielleicht
auch der Wunsch, den Angehö-
rigen davon zu erzählen, sich zu
entlasten. Das ist mit viel Schmerz
verbunden.
Martina Mann: Dazu kommt oft die
Frage ‚Gibt es etwas nach dem
Tod? Was erwartet mich da? Und
wenn ja, was hat mein Leben dazu
bewirkt; kommen Strafe und Ge-
richt oder der Himmel auf mich zu?
Hin und wieder hatten wir auch
Gäste im Hospiz, die eine weltliche
Strafe absitzen mussten, aber zu
krank für den Vollzug waren. Da gab
es ein enorm großes Mitteilungs-
bedürfnis und Bedauern über das
Geschehene. Egal was da kommt,
wir werten nicht, sondern begleiten
aufrichtig und nah.
Tomislav Rubcic: Wir sehen den
Menschen und seine innere Not,
denn das hilft gegen den einsamen
Schmerz: die unbedingte Wert-
schätzung, der behutsame Rück-
blick auf ein Leben, wie immer es
war. Denn oft hat sich dieser un-
sichtbare Schmerz auch körperlich
manifestiert. Aus meiner Erfahrung
heraus weiß ich, dass sich durch
die Gespräche oft auch körperliche
Schmerzen lösen lassen.
Apropos neue Kraft: Den Schmerz
anderer zu erleben, auszuhalten
und zu begleiten, erfordert viel Kraft.
Wie gehen Sie und die Kollegen mit
dem Schmerz Ihrer Gäste um?
Martina Mann: Unser Team ist sehr
gut aufeinander abgestimmt und
eingespielt. Wenn einer von uns an
die Grenzen kommt, ist es mög-
lich, sich auch mal rauszuziehen.
Als entlastend erleben wir auch die
regelmäßige Teamsupervision und
Fallbesprechungen. Außerdem hat
jeder von uns so seine Nischen zum
Kraftholen. Das können gute so-
ziale Beziehungen oder besondere
Hobbies sein, in denen wir uns auch
fallenlassen und abschalten kön-
nen. Ich handwerke für mein Leben
gern. Derzeit gestalte ich aus Tellern
Etageren. Die kamen auf dem Ba-
sar hier im Viertel sehr gut an. Ich
arbeite mit den Händen und ent-
werfe etwas Neues. Dabei bin ich
voll konzentriert und vergesse alles
um mich herum. Daneben bereise
ich die Welt. Die vielen Eindrücke
geben mir Raum und Abstand von
meinem Beruf.
Tomislav Rubcic: Mich zieht es raus
in die Natur. Beim Fahrradfahren
oder beim Waldspaziergang mit
dem Hund komme ich wieder bei
mir an: So schaffe ich es, profes-
sionell Nähe und Aufmerksamkeit
zu schenken. Ich bin ein gläubiger
Mensch und kann viele Belastun-
gen mit ins Gebet nehmen – das
hilft mir.
Ein G stezimmer im Hospiz St. Marien
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CellitinnenForum 1/2019