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Bis vor kurzem hat sich die Seniorin

noch alle Mahlzeiten selbst zuberei-

tet, doch das Kochen überlässt sie

mittlerweile dem Hausrestaurant.

Ihr Tagesrhythmus hat eine feste

Struktur, die sich allerdings seit ei-

niger Zeit verändert. Sie ist keine

Frühaufsteherin mehr. Die ersten

paar Tage hat das Bewegungssys-

tem angeschlagen, als sie um 8:00

Uhr noch im Bett lag. Da meldete

sich um 8:30 Uhr die Koordinatorin

des Wohnstifts, um

zu fragen, ob sie

ok sei. Das Sys-

tem – an den Fuß-

leisten befestigte

Streifen, die auf Be-

wegungen innerhalb

der Räume reagieren

und mit dem Haus-

notrufdienst verbun-

den sind – weiß nun,

dass sie lieber län-

ger schläft, und hat

die Alarmbereitschaft

ihrem Rhythmus ange-

passt. Nur vor drei Ta-

gen, da ist sie über ihre

Schuhe gestolpert und

hingefallen. Gott sei Dank ist nichts

passiert. Sie war schnell wieder auf

den Beinen und konnte der über

die Sensoren alarmierten Pflege-

mitarbeiterin selbst die Tür öffnen.

Gestern rief ihr Hausarzt an. Ihr

Blutdruck sei zu hoch. Er emp-

fahl ihr, zwei statt einer Tablette zu

nehmen. Sie solle sich also nicht

wundern, wenn der Pflegedienst

Auxilia ihr später schon zwei Tablet-

ten anreiche. Wie praktisch, so ein

Armband, das meine Werte misst,

diese dem Arzt übermittelt und

gleichzeitig für den Pflegedienst alle

Informationen bereithält, denkt Frau

Müller. Da piept ihr Mobiltelefon.

Ein grüner Smiley für ,alles ok‘, ein

gelber für ,geht so‘ und ein roter mit

heruntergezogenen Mundwinkeln

für ,gar nicht gut‘ erscheinen. Bei

Frau Müller ist heute alles grün. Sie

tippt auf den Smiley und informiert

so ihre Tochter in den USA, dass

es ihr gut geht. Skypen können sie

dann morgen wieder.

In letzter Zeit ist die

eigentlich rüstige Rent-

nerin etwas tüddelig

geworden, vergisst

schon mal Termine,

steht im Supermarkt

und weiß nicht mehr,

was sie kaufen wollte,

oder sie verläuft sich

auf dem Rückweg.

Da hat sie sich ange-

wöhnt, die gelade-

ne Einkaufsfunktion

des Mobiltelefons

zu nutzen, diktiert

den Einkaufszettel

und lässt sich per

GPS und Sprachsteuerung zum

Geschäft oder wieder nach Hau-

se führen. Verlorengehen kann sie

nicht, denn das Wohnstift ist immer

informiert, wo sie sich gerade auf-

hält. Das erscheint Frau Müller si-

cherer. „In 30 Minuten Abfahrt zum

Deutschen Museum nach Bonn“ –

an Termine erinnert sie das Gerät

ebenfalls. Das Museums-Angebot

heute richtet sich in erster Linie an

die im Seniorenhaus wohnenden

Herren, von denen es in letzter Zeit

immer mehr gibt. Samstagnach-

mittags gucken sie im ‚Anna-Stüb-

chen‘ immer die Bundesliga live.

Da ist vielleicht was los! Parallel

dazu werden Wellness- oder Fit-

ness-Programme angeboten.

Die ehemalige Ingenieurin und Fuß-

ballfanatikerin Müller wird in der

Herrenrunde akzeptiert und freut

sich auf Bonn. Sie macht sich lang-

sam fertig. Vorher, denkt sie, ist

noch Zeit für einen Tee. Frau Müller

setzt Wasser auf, zieht den Mantel

an und verlässt die Wohnung. Wie

gut, dass der Herd eine automati-

sche Abschaltfunktion hat. Unter-

wegs zum hauseigenen Bus trifft sie

‚Pepper‘. Der Roboter macht ihr ein

Kompliment: Sie sähe heute so zu-

frieden und frisch aus. Das Blau des

Mantels stehe ihr gut. Frau Müller

lacht. Wie dumm, denkt sie, das ist

doch nur ein Roboter – sie freut sich

aber trotzdem und geht beschwingt

weiter Richtung Treffpunkt.

Offene Fragen

So oder ähnlich sieht in nicht ferner

Zukunft der technisch unterstützte

Alltag älterer Menschen aus. Denk-

und (schon fast) machbar sind noch

sehr viel mehr technische Hilfsmit-

tel. „Vorher sind aber noch Fragen

zu klären“, warnt Türling. „Wie viel

Überwachung ist ethisch zu ver-

antworten? Führen wir Menschen in

die Unselbstständigkeit? Wie kön-

nen solche Systeme abgerechnet

werden, ohne die Mitarbeiter in der

Buchhaltung, Bewohner, Mieter

und Menschen in der ambulanten

Betreuung zu überfordern?“ All

das, so Türling, sei vor dem Einsatz

technischer Hilfsmittel zu klären.

Außerdem müssten die Systeme

kompatibel sein und den Richtlinien

des Datenschutzes entsprechen.

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Titel | Thema

CellitinnenForum 4/2018