Von ihrem Porträt geht etwas Be-
sonderes aus. Im vergrößerten
Maßstab hängt es im Eingangs-
bereich des nach ihr benannten Se-
niorenhauses in Würselen-Broich-
weiden. Die Gestalt der Ordensfrau
ist nahezu ganz von der dunklen
Schwesterntracht überdeckt.
Umso mehr richtet sich der Blick
auf die Gesichtszüge der Porträtier-
ten. Es ist eine noch junge Frau mit
hoch liegenden Wangenknochen
und ausdrucksstarken Augen, die
am Betrachter vorbei zu blicken
scheinen. Ernst und gefasst schaut
sie, wie jemand, der die Schatten-
seiten menschlicher Existenz kennt
und erlebt hat. Andererseits wirkt ihr
Antlitz sympathisch und vermittelt
den Eindruck von Güte und Warm-
herzigkeit.
‚Schwere Kindheit‘
Vielleicht kann man sagen, dass
sich in diesem Porträt auch etwas
von der Lebensgeschichte Gertrud
Spickermanns, der späteren Mutter
Seraphine, widerspiegelt. In ihrer
Biografie verdichten sich tatsäch-
lich Erfahrungen von seelischer Not
schwer vorstellbaren Ausmaßes,
dann aber auch die Gabe des Ver-
trauens, das Richtige mit Gottes
Hilfe zu tun und den Mut zu haben,
Neues zum Wohl von Menschen
zu wagen.
Heute würden wir sagen, dass
Gertrud Spickermann, die am 30.
April 1819 geboren wurde, eine
‚schwere‘ Kindheit und Jugend
hatte. Sie stammte aus Rheinbach,
das heute zum linksrheinischen Teil
des Rhein-Sieg-Kreises gehört.
Damals war der Ort zwischen Vor-
gebirge und Eifelrand durch die
neue preußische Obrigkeit zum
Sitz der Verwaltung eines Land-
kreises bestimmt worden. Die 1816
etwa 1.250 Einwohner lebten von
Ackerbau und Landhandel. Gertrud
wuchs in einer Familie auf, die in
zwar sehr einfachen Verhältnissen
lebte, aber immerhin über Eigentum
an Grund und Boden verfügte. Die
Eltern, Josepha Assenmacher und
Adam Spickermann, hatten 1813
in Köln geheiratet. Nach der Ge-
burt eines ersten Sohnes zog das
Ehepaar nach Rheinbach in den
Heimatort der Mutter. Sie hatte zwei
kleine Häuser und nutzbare Acker-
flächen geerbt. Gertrud war das
dritte Kind, vier weitere kamen bis
1830 zur Welt. Ob es die größer
werdende Familie war oder andere
Umstände eine Rolle spielten – je-
denfalls geriet das Leben der Fami-
lie Spickermann in eine bedrohliche
Schieflage. Die Ehe der Eltern war
nach dem Zeugnis des örtlichen
Pfarrers zerrüttet. Es gab Streit und
Auseinandersetzungen. Adam, der
das Schusterhandwerk ausübte,
schlug seine Frau. Außerdem gab
es auch finanzielle Probleme. Die
Mutter hatte versucht, mit dem
Mangeln von Wäsche etwas zu
verdienen.
Im Mai 1839 geschah dann die
Katastrophe. An einem Sonntag-
morgen wurde die Mutter im Stall
aufgefunden, durch massive Ge-
walteinwirkung am Schädel ver-
letzt, schon nicht mehr bei Be-
wusstsein. Ihr war nicht mehr zu
helfen. Am frühen Nachmittag starb
sie. So eindeutig wie die Zertrüm-
merung der Schädeldecke durch
die nachfolgende Untersuchung
festgestellt wurde, schien ebenso
der Täter festzustehen: Alles sprach
für – oder besser gegen – Adam
Spickermann, auf den die Indizien
zweifellos hindeuteten, zumal sein
Verhalten, wie wiederum vom da-
maligen Pfarrer vermerkt, als „mit-
unter nicht zurechnungsfähig“ ein-
geschätzt wurde. Jedenfalls blieb
Wegbegleiter des Lebens XX. Teil
Mutter Seraphine Spickermann –
Stifterin der Schwestern der Liebe vom Kostbaren Blut
CellitinnenForum 3/2015
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Glauben | Leben