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Niemand möchte sich heute sagen

lassen, von gestern zu sein. Doch

heißt es nicht für die Pflege, dass

früher alles besser war, dass Pfle-

gende heute Opfer und Angeklagte

des Systems seien? Nichts würde

imGesundheitswesen laufen, wenn

es nicht Pflegende gäbe, die unter

den Dächern von Kranken- und Se-

niorenhäusern, von Hospizen oder

ambulant in den Wohnungen Men-

schen medizinisch auf das Beste

versorgen würden. Seitdem ich

während der Studienzeit vor über

dreißig Jahren in der Pflege aushel-

fen durfte, habe ich viele Pflegende

kennen und schätzen gelernt.

Mitte der 80er Jahre

Sie waren wie Pat und Patachon,

und am besten nicht in der gleichen

Schicht eingeteilt, Schwester Anne

und Schwester Marianne, die auf

einer Pflegestation im Kölner Os-

ten ihren Dienst versahen. Von der

Statur her höchst unterschiedlich,

die eine klein, rundlich und lieb,

die andere groß, hager und zackig,

verkörperten sie das Koordinaten-

system unseres Pflegealltags. Mit

einer hohen Fachlichkeit ausgestat-

tet, einem respektablen Auftreten

und ausgeprägten Organisations-

geschick, lenkten sie Ströme von

Examinierten, Auszubildenden und

Aushilfskräften wie mich, in jeder

Situation das Richtige für die Be-

wohner zu tun. Mit ihrer großen

Menschenliebe hätten sie sich für

die Bewohner zerreißen lassen und

sie arbeiteten mit einer tiefen Zufrie-

denheit in der Pflege. Zeichen ihrer

beruflichen Würde war die stets

makellose weiße Berufskleidung,

die Sr. Marianne noch durch ein

lässig um den Hals geschlungenes

Stethoskop aufpeppte. Niemand,

kein Arzt und kein Angehöriger,

hätte es gewagt, sie respektlos

anzugehen oder gar zu verklagen,

denn sie genossen ein schier un-

begrenztes Vertrauen. Sie waren

nicht mal Stationsleitung. Das woll-

ten sie auch nie, Karriere machen,

aber jeder vertraute sich so einer

erfahrenen Krankenschwester ein-

fach gerne an.

Ich frage ich mich heute, Frühjahr

2018, ernsthaft, wo das Vertrauen

in die Pflegenden und der Respekt

vor ihnen geblieben sind. Fachlich

sind sie besser als Anne und Mari-

anne – heute heißen sie Verena,

Maryam oder Marcel –, weil zum

einen die Pflegeausbildung über die

Jahrzehnte noch komplexer wurde,

so dass allein der Anatomiebereich

locker als Vorstufe zum Medizin-

studium durchgehen könnte. Zum

anderen fordern neue Themen die

Berufsträger täglich auf, fachliche

Höhen patientengerecht zu erklet-

tern, wie beispielsweise die Pflege

hochaltriger, demenziell veränderter

Menschen oder die post-intensiv-

medizinische Versorgung. Nett und

gut ausgebildet sein reicht nicht

mehr. Pflege ist nicht einfacher,

sondern komplizierter und auf-

wändiger geworden. Doch warum

fühlen sich viele Pflegende heute

weniger wertgeschätzt denn je?

Vielleicht hat es schon mit der Ver-

änderung der Berufsbezeichnung

Die ‚Robin Hoods‘ der Pflege

Ein Plädoyer für mehr Anerkennung

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Titel | Thema

CellitinnenForum 2/2018