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Eine Patientenverfügung gehört zu

den Dingen, von denen man oft

denkt: „Das müsste ich auch mal

erledigen.“ Aber wann und wie? Wir

haben mit Oliver Blaurock, dem lei-

tenden Oberarzt der Palliativstation

im St. Vinzenz-Hospital gesprochen:

Herr Blaurock, Sie treffen täglich

auf Menschen, die sich aufgrund

ihrer Situation mit dem Sterben aus-

einandersetzen. Wie viele von ihnen

haben tatsächlich eine Patienten-

verfügung?

Rund die Hälfte der Patienten hat be-

reits eine Verfügung. Diese sind aber

von sehr unterschiedlicher Qualität.

Und oftmals ist genau die Situation,

in der sich der Patient gerade befin-

det, nicht eindeutig geregelt.

Was macht aus Ihrer Sicht eine gute

Patientenverfügung aus?

Eine gute Patientenverfügung ist

vor allem eine möglichst aktuelle.

Wenn man als junger Mensch eine

Verfügung erstellt, ist man häufig

noch nicht in der Lage, zukünftige

Situationen, die eine Verfügung nö-

tig machen, vollumfänglich zu be-

greifen und sich selbst ausreichend

zu reflektieren. In der heutigen Zeit

werden die Menschen immer älter

und leiden somit auch häufiger unter

Alterserkrankungen. Je älter man

wird oder je mehr sich eine Behand-

lungssituation zuspitzt, desto besser

kann man für sich entscheiden, was

man nicht möchte.

Es ist wichtig, sich damit auseinan-

derzusetzen, was man an Behand-

lung akzeptieren kann und was nicht.

Dazu gehört auch die Frage: „Unter

welchen Bedingungen möchte ich

leben und wie möchte ich sterben?“

All das ist sehr individuell und sollte

in einem ausführlichen Gespräch mit

Angehörigen, dem Hausarzt oder

einer Beratungsstelle besprochen

werden. Solange nichts anderes

festgelegt ist, wird natürlich immer

alles dafür getan, den Menschen am

Leben zu erhalten oder bestmöglich

zu behandeln.

Was ist aus Ihrer Sicht noch wichtig?

Für den Fall, dass ein Mensch nicht

mehr in der Lage ist, sich mitzuteilen,

ist es enormwichtig, ein vertrauens-

volles Umfeld zu haben und eine Per-

son zu benennen, die dann solche

Entscheidungen stellvertretend in

meinem Sinne trifft. Diese Person

sollte dann nicht ihren Willen, son-

dern meinen artikulieren und dafür

Sorge tragen, dass er beachtet

wird. Eine medizinische Verantwor-

tung übernimmt sie dabei nicht, die

liegt in der Hand der behandelnden

Ärzte. Ein gutes Instrument hierfür

ist eine frühzeitig erstellte Vorsor-

gevollmacht.

Wie gehen Sie als Arzt hierzu mit

Ihren Patienten um?

Die Patienten oder stellvertretend

die Angehörigen werden, mit Sicht

auf die individuelle Situation, von uns

aufgeklärt und beraten. Wir fragen

immer ab, ob eine Verfügung vor-

handen ist. Das bedeutet aber nicht,

dass wir diese einfach stur befolgen.

Der Patient, sofern er dazu noch in

der Lage ist, wird immer im Zusam-

menhang mit einzelnen Maßnahmen

oder Therapien nach seinem Willen

gefragt. Denn er ist ja da und solange

er entscheidungsfähig ist, wird das

umgesetzt, was in demMoment ge-

wünscht ist, sofern es medizinisch

möglich und sinnvoll ist.

Welche Herausforderungen gibt es

dabei?

Selbstverständlich ist es für An-

gehörige, die an einem geliebten

Menschen hängen, schwer, wenn

der Patient Maßnahmen ablehnt.

Deshalb versuchen wir, die Ange-

hörigen in die Prozesse mit einzube-

ziehen und sie dabei zu unterstützen,

Verständnis für die Entscheidung

des Patienten zu entwickeln. Um

Ängste aufzufangen, ist auch die

seelsorgliche und psychologische

Betreuung von großer Bedeutung.

Uns ist es wichtig, die Würde und

Selbstbestimmung des Patienten zu

wahren.

Lieber Herr Blaurock, herzlichen

Dank für das Interview.

Wer entscheidet im Notfall?

Patientenverfügungen aus der Sicht eines Palliativmediziners

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CellitinnenForum 3/2017

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