Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2014 (Juli 2014) - page 9

Fortbildung aktuell – Das Journal
Nr. 3/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 9
Dr. Dorothee Dartsch
sition für den Fetus ist das Verschlucken
des Fruchtwassers, für das gezeigt wur-
de, dass es klinisch relevante Konzentra-
tionen einiger Antidepressiva, Antibioti-
ka und Antikonvulsiva enthält, wenn die
Mutter mit diesen Wirkstoffen behandelt
wird.
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Nebenbei: Der plazentare Transfer von
Arzneistoffen, die der Mutter gegeben
werden, wird manchmal genutzt, um fe-
tale Arrhythmien, eine stauungsbedingte
Herzinsuffizienz, Infektionen und andere
Erkrankungen zu behandeln. Bedeutung
hat die in-utero-Behandlung mit Korti-
kosteroiden erlangt, die die fetale Lun-
genreifung verstärken und angewendet
werden, wenn eine Frühgeburt erwartet
wird. Damit erreicht man eine 40 prozen-
tige Reduktion der Mortalität bei Frühge-
burten. Die begrenzenden Faktoren ei-
ner Behandlung des ungeborenen Kindes
durch die Mutter sind die Sicherheit und
Verträglichkeit für die Mutter. Zum Bei-
spiel werden kardiovaskuläre Wirkungen
von Arzneistoffen von der werdenden
Mutter mit einem gesunden Herz-Kreis-
lauf-System oft nicht oder nur in begrenz-
tem Maß toleriert.
Wieviel und wie oft?
Der Wirkstoff mit dem besten Nutzen-Ri-
siko-Verhältnis ist gefunden. Aber kann
er in der Standarddosis gegeben werden?
Einer der Grundsätze für die Arzneimit-
teltherapie in der Schwangerschaft ist:
so wenig wie möglich. Das bezieht sich
sowohl auf die Zahl der Arzneimittel als
auch auf die Dosis jedes einzelnen Medi-
kaments. Aber die Wirkung erfordert im-
mer eine gewisse Menge an Wirkstoff am
Wirkort. Also zwar so wenig wie möglich,
aber doch auch so viel wie nötig.
Die physiologischen Anpassungsvorgänge
der Schwangerschaft verändern die Phar-
makokinetik der Arzneistoffe. Absorpti-
on, Distribution, Metabolisierung und Ex-
kretion von Arzneistoffen können daher
von den allgemeinen Erfahrungswerten
abweichen. Ein geeignetes Therapiemo-
nitoring ist in dieser Zeit besonders wich-
tig, um die Dosis an die veränderte Kine-
tik anzupassen.
Die gastrointestinale Absorption kann in
der Schwangerschaft durch eine verzö-
gerte Magenentleerung und herabge-
setzte Darmmotilität verlangsamt sein.
Die dadurch um 30 bis 50 Prozent erhöhte
intestinale Transitzeit wirkt sich auf Dau-
ertherapien nicht in relevanter Weise aus.
Sie kann aber bei Einmalgabe die Wirk-
samkeit herabsetzen, wenn für die Wir-
kung das Erreichen eines bestimmten Mi-
nimalspiegels innerhalb einer bestimmten
Zeit wichtig ist, wie beispielsweise bei ei-
nigen Analgetika (Paracetamol und ande-
re) oder Antiemetika. Durch verminder-
te Säuresekretion und erhöhte Schleim-
produktion erhöht sich der Magen-pH.
Schwache Säuren werden dadurch stärker
ionisiert und weniger absorbiert. Ein grö-
ßeres Problem für die Absorption stellt
das schwangerschaftsbegleitende Erbre-
chen dar. Daher sollte den Patientinnen
geraten werden, die Medikamente einzu-
nehmen, wenn die Übelkeit am schwäch-
sten ist (meistens abends).
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Für die Verteilung im Körper ist relevant,
dass der Verteilungsraum deutlich zu-
nimmt, besonders das wässrige Kompar-
timent. Das Plasmavolumen ist um etwa
50 Prozent vermehrt, die Herzleistung ge-
steigert, die regionale Durchblutung ver-
ändert: Der Uterus, die Nieren, die Le-
ber, die Haut und die Milchdrüsen wer-
den stärker, die Skelettmuskulatur dafür
weniger stark durchblutet. Durch das er-
höhte Herz-Zeit-Volumen ist der Blutfluss
durch die Haupteliminationsorgane, Le-
ber und Niere, gesteigert.
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Diese gesteigerte Leberperfusion und die
im 3. Trimenon hinzukommende Indukti-
on der Cytochrom P450-Enzyme 2C9, 2D6
und 3A4 durch Estrogen und Progesteron
erhöht die Clearance vieler hepatisch eli-
minierter Wirkstoffe. Zum Beispiel Prote-
ase-Inhibitoren, Midazolam und Fluoxe-
tin müssen daher zum Ausgleich höher
dosiert werden. Dagegen werden CYP
1A2 und 2C19 durch die erhöhten Hor-
monspiegel inhibiert, so dass die Clea-
rance von zum Beispiel Theophyllin und
Phenytoin verringert ist. Für solche Wirk-
stoffe muss die Dosis reduziert werden.
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Die glomeruläre Filtrationsrate steigt bis
zum Ende der Schwangerschaft durch
das erhöhte Plasma- und Herz-Zeit-Volu-
men um etwa 50 Prozent an. Im gleichen
Zug nimmt die renale Clearance für Wirk-
stoffe wie Penicillin, Lithium und Digo-
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der Apothekerka mer Westfalen-Li pe 9
TIPP:
Der vor allem in der späteren Schwangerschaft erhöhte Dosisbedarf widerspricht
dem intuitiven Bestreben, aus Vorsicht lieber weniger einzunehmen. Für die Be-
ratung ist daher wichtig zu erklären, dass das Arzneimittel durch die Verände-
rungen in der Schwangerschaft schneller ausgeschieden wird, weshalb eine Dosis­
erhöhung notwendig ist, um die beabsichtigte Wirkung zu erzielen. Patientinnen
sollten gebeten werden, besonders aufmerksam darauf zu achten, ob Symptome
der Erkrankung oder Anzeichen unerwünschter Wirkungen auftreten. Falls ein
TDM durchführbar ist oder unerwünschte Wirkungen an bestimmten Laborpa-
rametern erkannt werden können, ist mit dem verordnenden Arzt zu klären, ob
dies geschieht.
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