Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2014 (Juli 2014) - page 13

Fortbildung aktuell - Das Journal
Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 13
Therapie-Komplikationen durch Nahrungs- und Genussmittel
Der Patient hat gerade eine Tasse Kaffee
oder ein Glas Mineralwasser vor sich ste-
hen. Soll er oder muss er damit jetzt die
Tabletten schlucken? Im viktorianischen
Zeitalter mit seinen gesellschaftlichen
Zwängen gab es solche Fragen nicht: Die
in einer silbernen Pillendose versteckten
Arzneimittel wurden heimlich ohne nach-
zudenken unter dem Tisch hervorgeholt
und zum Essen eingenommen. Die Anga-
ben zu Interaktionen zwischen Arznei-
stoffen und Nahrungsmitteln sind heu-
te noch lückenhaft, manchmal einander
widersprechend oder teilweise sogar ir-
reführend, wenn die Untersuchungen an
gesunden jungen Menschen und nicht an
älteren und kranken Menschen mit ih-
rem abweichenden Metabolismus durch-
geführt wurden. Die Nahrungsaufnahme
ist ein Unsicherheitsfaktor für die Arznei-
therapiesicherheit, dies macht die Pati-
enten-Beratung unabdingbar. Der Leser
soll durch die Abschnitte „Hinweise“ pra-
xisnahe Hilfen bekommen.
Die Problemerkennung wird dadurch er-
schwert, dass Wechselwirkungen zwi-
schen einem Arznei- und einem Nah-
rungsstoff gelegentlich in einer Abschwä-
chung der Wirkung bestehen können und
dann als therapeutischer Versager missge-
deutet werden. Hinweise auf Beipackzet-
teln fehlen häufig oder die Angaben sind
nicht konkret (siehe Abschnitt „vor dem
Essen“ und „nach dem Essen“). Anma-
ßende Vorhersagen aus Analogieschlüs-
sen „aus dem apothekerlichen Bauch he-
raus“ sind kontraproduktiv (siehe Bei-
spiele für Abweichungen innerhalb einer
Arzneistoffgruppe), auch wenn pharma-
kokinetische Interaktionen einer gewis-
sen Systematik in Bezug auf Resorption,
Elimination und Metabolismus unterlie-
gen. Betroffen von Nahrungs- und Ge-
nussmittel-Interaktionen sind über 300
Arzneistoffe, die in ca. 5.000 Präparaten
enthalten sind und damit ca. zwölf Pro-
zent aller Fertigarzneimittel betreffen.
In den Arzneimittel-Zulassungsrichtlinien
verschiedener Länder ist dieser Nahrungs-
aspekt inzwischen berücksichtigt.
Vorab präzisierende Hinweise zur Weiter-
gabe an den Patienten
• „Einnahme vor dem Essen“: ca. 60 bis
120 Minuten vor der Mahlzeit (nüch-
tern)
• „Einnahme während des Essens“: spä-
testens fünf Minuten nach der Mahl-
zeit
• „Einnahme nach dem Essen“: Zwischen
Mahlzeit und Einnahme sollte ein Ab-
stand von 60 bis 120 Minuten liegen.
Gemeint ist also nicht unmittelbar
nach dem Essen.
• „ausreichend Flüssigkeit“: Gemeint
ist Leitungswasser und nicht Mineral-
wasser. Hinweis bei älteren Patienten:
250 ml und aufrecht sitzend, zur Ver-
meidung von Ösophagusulzera. Dies
ist ganz wichtig beispielsweise bei Ka-
lium-Präparaten und Bisphosphonaten
(siehe unten).
• „Nüchtern“: Ein Abstand von zwei
Stunden zur Mahlzeit kann nicht als
Nüchterneinnahme bezeichnet wer-
den, wenn süße Limonade, Apfelsaft,
Milch oder Formuladiät mit einer Arz-
neistoffaufnahme kombiniert werden.
Triviale, allgemein bekannte Beispiele
können hier nur gestreift werden, wie
„bukkale Anwendung“ nicht bei vollem
Mund, Milch nicht zusammen mit be-
stimmten Antibiotika, Grapefruit-Proble-
matik usw.
Resorptionsbeeinflussung allgemein
durch Nahrung
Der gefüllte Magen besitzt ein Retardie-
rungsmoment mit unterschiedlichen Aus-
wirkungen:
• Erhöhung der Zeit zwischen Applikati-
on und Erreichen der maximalen Plas-
makonzentration (t
max
): Wirkung tritt
verspätet ein
• Erniedrigung der maximalen Plas-
makonzentration (C
max
): Wirkung ist
schwächer, hält aber evtl. länger an
• Veränderung der Gesamt-AUC (Fläche
unter der Kurve).
Die Verringerung der Absorptionsge-
schwindigkeitskonstanten k
a
(Abbil-
dung 1, rechts) durch Nüchterneinnahme,
also der Geschwindigkeit, mit der ein Arz-
neistoff resorbiert wird. Dies ist bei der
Kurzzeittherapie wegen des raschen An-
flutens des Arzneistoffs erwünscht (ra-
Prof. Eugen Verspohl
(Münster) studierte
Pharmazie in Münster und wurde 1993
in Düsseldorf promoviert. Er habilitierte
sich im Bereich der Pharmakologie und
Toxikologie 1982 in Tübingen. Von 1991
bis zu seiner Emeritierung 2012 lehrte er
als Professor für Pharmakologie in Müns­
ter. Er gründete die „Verspohl Stiftung“
und ist Träger der Verdienstmedaille der
Apothekerkammer Westfalen-Lippe.
Prof. Eugen Verspohl
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Fortbildung aktuell – Das J urnal
Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lipp
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