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150 Jahre St. Vinzenz-Hospital

150 Jahre St. Vinzenz-Hospital

Inhalt

KAPI TEL 1 Am Anfang stand ein Pockenzelt (1852–1871)

13 Krankenpflege im Pockenzelt 14 Rückblick: Die Vinzentinerinnen kommen nach Köln 16 Ordensschwestern Die Töchter der Liebe vom heiligen Vinzenz von Paul

17 Ein erstes Mutterhaus in der Eintrachtstraße 18 Nippes wird deutsches Zentrum der Töchter der christlichen Liebe

KAPI TEL 2 Krankenpflege zwischen Mutterhaus und Hospital (1871–1918)

21 Hospital dank Kulturkampf 24 Auf gesetzlicher Basis 25 Neuer Rahmen: die Caritative Vereinigung 26 Moderne Medizin Röntgenstrahlen, Anästhesie und Chirurgie 26 Mit Chirurgie zum vollwertigen Krankenhaus 27 Hohe Investitionen und knappe Pflegesätze 28 Große Pläne 31 Stillstand in den Nachkriegsjahren 32 Für den Nachwuchs: die neue Krankenpflegeschule 35 Das modernste Krankenhaus der Rheinprovinz 37 Modernes Hospital Das „Neueste“ im Krankenhauswesen 38 Im Visier der „Klosterjäger“ 40 Unter einem Dach: Krankenhaus und Lazarett 41 Zwischen Gewinnen und Fliegerangriffen – das Hospital im Krieg 42 Keine Pause im Hospitalbetrieb – Kriegsende und Nachkriegszeit

KAPI TEL 3 Das „modernste Krankenhaus des Rheinlands“ in unruhigen Zeiten (1919–1949)

KAPI TEL 4 Wachstum und Kostenexplosion (1950–1970)

45 Wiederaufbau auch mit Landesmitteln 46 Von der Tbc-Station zum Isolierhaus 47 Für das Personal: Wohnhaus mit Schwimmbad 49 Ein Großstadtkrankenhaus an seinen Kapazitätsgrenzen 50 Hospital imWandel 53 Große (Fehl-)Planungen von Stadt und Land 54 Am Puls der Zeit: Anästhesie und eine Intensivstation 57 Die guten Geister des Hospitals 57 Krankenhausalltag: familiär und vertrauensvoll 59 Schulzeit Feste feiern, lernen und ein Wohnheim zumWohlfühlen 60 Vom Dreieck zum Karree: Der neue Funktionstrakt 61 Auf demWeg zum Verbund 65 Gelungener Start unter neuer Trägerschaft 66 Das Hospital am Jahrtausendwechsel 66 Neue Führung im wachsenden Verbund 67 Stiftung Die Cellitinnen zur hl. Maria in der Kupfergasse 69 Zentralisierung und Konzentration – die Organisation im Verbund 70 Lehrkrankenhaus für Chirurgie und Ausbau der Kardiologie 72 Ausdifferenzierung und Neubauten 74 Wirtschaftlichkeit und ethische Grundsätze

KAPI TEL 5 Zwischen Kranken- hausfinanzierungs- gesetz und Verbund (1971–1994)

KAPI TEL 6 Stark im Veedel und Leuchttürme mit Strahlkraft (1995–2021)

76 Menschen, Zahlen, Fakten 77 Kliniken und Zentren 84 Pflege

86 Anhang

VORWORT

150 Jahre St. Vinzenz-Hospital in Köln-Nippes – das Jubiläumsjahr unseres Krankenhauses ist ein besonderes. Mehr als ein Jahr Pandemie liegt hin- ter uns und wir befinden uns mitten in einer her- ausfordernden Zeit. Wir erleben im St. Vinzenz- Hospital gerade genau das, was das Haus aus- macht: den beständigen Vinzenz-Geist. Im Januar 2020 – kurz vor Pandemiebeginn – durfte ich das Amt als Geschäftsführer übernehmen. Als Ur-Kölner mit beruflichenWurzeln in den Einrich- tungen der Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria habe ich im St. Vinzenz-Hospital meine berufli- che Heimat gefunden. Das Krankenhaus mit mei- nen Ideen und meiner Tatkraft zu gestalten und voranzubringen, ist mein täglicher Anspruch und Ansporn. Als Geschäftsführer gehe ich voran, bin aber nur so gut wie jeder Einzelne, der hier – egal in welchem Bereich – sein Bestes gibt. Wir sind im St. Vinzenz-Hospital eine große Gemeinschaft, ein Team, in dem jeder zählt und für das steht, was uns antreibt: „Der Mensch in guten Händen“. Tagtäglich bin ich begeistert und stolz auf die Art und Weise, wie unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeinsam dafür einstehen, was uns wichtig ist. Die menschlich zugewandte und hochmodern entwickelte Medizin auf der einen Seite und unsere Wurzeln als Krankenhaus einer Ordensgemeinschaft auf der anderen Seite.

Heute weiß niemand, wie die Gesundheitsversor- gung in 10, 50 oder gar 100 Jahren aussehen wird. Was wir aber wissen, ist, dass unseremedizinische, pflegerische und therapeutische Versorgung auch weiterhin niederschwellig für die Menschen im Veedel, in der Stadt und im Umkreis verfügbar ist und sein wird. Wir brauchen Rahmenbedingun- gen, die es uns weiterhin ermöglichen, eine um- fassende Gesundheitsversorgung anzubieten und gleichzeitig auch wirtschaftlich zu sein. Wir brau- chen Strukturen undModelle, die die Attraktivität der Arbeitsplätze im Krankenhaus steigern. Denn nur wenn Menschen mit Engagement und Begeis- terung in einem Krankenhaus arbeiten, ist eine umfassende – und nicht nur eine rein medizi- nisch-pflegerische – Versorgung unserer Patien- ten möglich. Dies wollen wir auch weiterhin leis- ten – das ist unser Anspruch und unser Maßstab.

PIT Z IMMERMANN Geschäftsführer

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GRUS SWORT

Bestehendes bewahren – Synergien nutzen – Per­ spektiven geben. Was heute im medizinischen Umfeld selbstverständlich geworden ist, steckte vor 27 Jahren noch in den Kinderschuhen. Bereits Anfang der 1990er Jahre führten Cellitinnen und Vinzentinerinnen Gespräche, umdas St. Vinzenz- Hospital in Nippes und das Heilig Geist-Kranken- haus in Longerich unter demDach einer Kranken- hausgesellschaft zusammenzuführen. Beide Ein- richtungen unterlagen als Anbieter der medizi- nischen Grundversorgung einem zunehmenden Konkurrenzdruck. Aus der Überzeugung heraus, gemeinsam besser auf die Herausforderungen ei- ner modernen medizinischen Versorgung reagie- ren und damit wirtschaftlich, arbeitsteilig und fachlichmit gemeinsamemKnow-how arbeiten zu können, entstand 1994 die Hospitalvereinigung St. Marien GmbH als Träger beider Krankenhäu- ser. Von Beginn an standen die Zeichen auf Exis- tenzsicherung statt Aufgeben, Integration statt Übernahme, Eigenständigkeit und Eigenverant- wortung statt Zentralisierung, Ausbau statt Rück- schritt. Das alles wurde getragen von demGedan- ken, dass ein Zusammenschluss der beiden Kölner Häuser langfristig deren Bestehen sichern und den Erhalt der katholischen Werke wahren würde. In der Rückschau hat sich die damalige Entschei- dung als Initialzündung erwiesen. Weitere Häuser im Kölner Norden und in Wuppertal haben sich dem Krankenhausverbund der Stiftung der Celli- tinnen zur hl. Maria angeschlossen. Neben der Grund- und Regelversorgung bietet jedes Haus besondere Spezialisierungen an, so dass für die Patienten ein breites Behandlungsspektrum vor- gehalten wird.

Der Standort St. Vinzenz-Hospital hat sich über die letzten Jahrzehnte weiterentwickelt. Das war nur durch die Kooperation der unter dem Dach der Stiftung der Cellitinnen vereinigten Gesell- schaften möglich. Die deutlich erweiterte Louise von Marillac-Kranken- und Altenpflegeschule, der Neubau des Hospizes St. Marien und die benach- barten Hausgemeinschaften St. Augustinus im ehemaligen Mutterhausgarten der Vinzentinerin- nen machen das sichtbar. Dahinter stehen aber die Intentionen der beiden Ordensgemeinschaf- ten, die ihr karitatives Werk gesichert wissen. Die Bereitschaft, die Aufgeschlossenheit und die Tat- kraft aller am Zusammenschluss Beteiligten ha- ben dazu geführt, dass das St. Vinzenz-Hospital in seinem Jubiläumsjahr regional und überregio- nal einen hervorragenden Ruf genießt – alle Mit- arbeiter haben dazu beigetragen. Ihr Engagement, ihre Fachkompetenz, ihre Offenheit dem Mitein- ander und ihre Zugewandtheit den Patienten und Kollegen gegenüber haben das Nippeser Kranken- haus zu einem wichtigen und unverzichtbaren Bestandteil für die Kölner Menschen und für die Stiftung der Cellitinnen gemacht.

DR . KLAUS TI EDEKEN Vorsitzender des Vorstands der Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria

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Jesus sah die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen und heilte ihre Kranken (Mt 14,14)

GRUS SWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,

jede Zeit hat ihre eigene Not. In jeder Zeit braucht es daher Menschen mit einem großen Herzen wie bei den Töchtern der christlichen Liebe des heili- gen Vinzenz von Paul. Denn in jeder Zeit gilt es, nach dem Vorbild Jesu tätiges Mitleid mit Armen und Bedürftigen zu haben. Es braucht ein großes Herz, um die Not zu sehen und zu handeln – wie bei Vinzenz von Paul, dem Gründer der Vinzentinerinnen, dessen tätiges Mit- leid durch die Ärmsten der Gesellschaft geweckt wurde. Der eifrig begann Bruderschaften, Vereine, Asyle und Hilfsdienste zu gründen, um die Not zu lindern. Wie bei Louise von Marillac, die ihn da- bei unterstützte und 1628 die Gesamtleitung der Gemeinschaft der Frauen übernahm. Wie 1870, als das Zentralhaus der Vinzentinerinnen in Köln Nippes erbaut wurde. Denn die Krankenversor- gung sollte damals eigentlich nicht die vorrangige Aufgabe der Ordensschwestern sein, die ja schon seit 1852 in Köln ansässig waren. Da sich aller- dings immer mehr Kranke im Garten des Mutter- hauses sammelten, erkannten die Schwestern die Zeichen der Zeit. 1871 gründeten sie das St. Vin- zenz-Hospital. Wie gut, dass die Vinzentinerinnen damals ein so großes und offenes Herz für die Bedürftigen ihrer Zeit hatten! Heute können wir deshalb auf 150 Jahre erfolgreiche und fruchtbare Arbeit im St. Vinzenz-Hospital zurückblicken. 150 Jahre ge- prägt von leidenschaftlicher, tätiger Nächsten­ liebe an Kranken. 150 Jahre Entwicklung und Er- weiterungen der Gebäude, um immer auf dem modernsten Stand medizinischer und pflegeri-

scher Versorgung zu sein. 150 Jahre auch voller Schwierigkeiten, die es zu meistern galt: Da waren Wirtschaftskrisen, Kriege, da waren Hungersnöte, ganz am Anfang, da gab es noch nicht einmal eine Krankenversicherung. So brachte jede Zeit ihre ei- genen Aufgaben mit sich. 1994 übergaben die Vin- zentinerinnen ihr Hospital deshalb an den Kran- kenhausverbund der Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria – um im Verbund diese Aufgaben noch besser erfüllen zu können. Auch in unserer Zeit gilt es, sich neuen Aufgaben und Herausforderungen zu stellen. Das Jubiläum, das wir feiern dürfen, fällt in eine Zeit, in der uns eine Pandemie herausfordert. Nicht zuletzt diese Pandemie hat allen in der Gesellschaft noch ein- mal deutlich vor Augen geführt, welch großen, wertvollen Dienst Angestellte, Pflegende, Ärzte und Krankenhäuser im Allgemeinen leisten. Für diesen Dienst möchte ich stellvertretend Danke sagen. Dafür möchte ich auch weiterhin viel Kraft und viel Erfolg wünschen. Dafür möchte ich dem St. Vinzenz-Hospital Gottes Segen mit auf den weiteren Weg geben.

Ihr

RAINER MARIA KARDINAL WOELKI Erzbischof von Köln

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KAPI TEL 1 1852–1871

Am Anfang stand ein Pockenzelt

1871 beziehen die Vinzentinerinnen ihr Mutterhaus in der Merheimer Straße in Nippes. Kurz darauf übernehmen sie in einem Zelt im Garten des Hauses die Pflege von Menschen, die an Pocken erkrankt sind. Es ist die Geburtsstunde des St. Vinzenz- Hospitals. Stationäre Krankenpflege betrei- ben die Schwestern nur vorübergehend, denn sie haben bereits andere Aufgaben: ambulante Alten- und Krankenpflege­ dienste sowie verschiedene sozial-karita- tive und pädagogische Leistungen in der Kinder- und Jugendbetreuung.

AM ANFANG STAND E I N POCKENZELT ( 1 852–1 87 1 )

KR ANKENPFLEGE IM POCKENZELT

Kurz entschlossen entschied Oberin Schwester Maria Swieteczky, mit ihrer kleinen Ordens­ gemeinschaft der Vinzentinerinnen zu helfen. Schließlich gehörte die Pflege von „Armen und Kranken“ zu den „mildtätigen Werken“ und damit zu den Aufgaben der Schwestern. Erst imMai 1871 hatten die Vinzentinerinnen ihr neues Mutter- haus in der (späteren) Merheimer Straße in Nip- pes bezogen. Jetzt, einen Monat später, errichte- ten sie im weitläufigen Garten ein Zelt für Kranke aus Nippes. Diese sollten hier, isoliert und getrennt von den Bewohnerinnen des Hauses, versorgt und gepflegt werden. Das Zelt wurde nach dem Ab­ ebben der Epidemie wieder abgebaut. Aber mit dieser Form „stationärer Krankenpflege“ begann die Geschichte des St. Vinzenz-Hospitals inNippes.

Anfang der 1870er Jahre grassierten in Deutsch- land die Pocken, eine lebensbedrohliche Infek­ tionskrankheit mit hoher Sterblichkeitsrate. Vor allem die größeren Städte mit ihren beengten Wohnverhältnissen waren betroffen, denn die von Viren übertragene Krankheit war hochinfektiös. In Köln erreichte die Zahl der Kranken in der zweiten Jahreshälfte 1871 mit annähernd 2.500 Menschen einen Höhepunkt. Auch in den Kölner Vororten breiteten sich die „Blattern“, wie der Volksmund die Pocken nannte, aus. So beklagte man im Frühsommer 1871 in Nippes, das damals noch nicht zu Köln, sondern zur Bürgermeisterei Longerich gehörte, eine wachsende Zahl an Infi- zierten. Und es gab kein Krankenhaus, das die Kranken hätte aufnehmen und versorgen können.

KLOSTER Das St. Vinzenz-Hospital um 1900: in der Mitte die Klosterkapelle, rechts davon das Mutterhaus

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AM ANFANG STAND E I N POCKENZELT ( 1 852–1 87 1 )

RÜCKBL I CK : D I E V I NZENT I NER I NNEN KOMMEN NACH KÖLN

Krankenpflege war nur eines der „mildtätigen Werke“ der Vinzentinerinnen, wie die „Genossen- schaft der Töchter der christlichen Liebe vom hei- ligen Vinzenz von Paul“ mit Hauptsitz in Paris meist genannt wurden. Die ersten vier Schwestern kamen im Frühjahr 1852 nach Köln. Der Über­ lieferung nach wurden sie am 1. April am Eigel- steintor, einem der mittelalterlichen Stadttore, empfangen. Michael Bill, der beliebte Pfarrer der St. Ursula-Gemeinde, und einige Gemeindemit- glieder begrüßten die Ordensfrauen. Ihre außer- gewöhnliche Tracht erregte einiges Aufsehen, vor allem die auffällige Kopfbedeckung: Die typische Flügelhaube war der Tracht bretonischer Land- frauen des 17. Jahrhunderts nachempfunden. Den Schwestern eilte ein hervorragender Ruf vor- aus, denn sie waren auf vielfältige Art karitativ tä- tig. Sie pflegten nicht nur Kranke und Arme, son- dern betreuten Kinder und übernahmen erziehe- rische und pädagogische Tätigkeiten einschließ- lich der Jugendpflege. Köln hatte damals bereits rund 100.000 Einwohner und die Armut wuchs. Kölner Vinzentiner- oder Lazaristenpatres, wie die Männer des Ordens landläufig genannt wurden, hatten beim Mutterhaus in Paris darum gebeten, einige Vinzentinerinnen zu entsenden. Die Vinzentiner hatten sich erst kurz zuvor mit ei- ner kleinen Gemeinschaft in Köln niedergelassen. Sie erhielten tatkräftige Unterstützung vom dama- ligen Erzbischof Johannes Kardinal von Geissel und von Pfarrer Michael Bill. Denn auch der Pfar- rer suchte für seine Gemeinde Hilfe bei der Pflege der Kranken und Betreuung der ärmeren Gemein- demitglieder und ihrer Kinder.

CORNET TE Die Vinzentinerinnen trugen eine traditionelle Tracht mit auffälliger Flügelhaube, der Cornette (Darstellung aus dem 19. Jahrhundert).

Die ersten vier Schwestern bezogen zunächst das Haus Im Glockenring 47, ganz in der Nähe der Kirche Sankt Ursula in der Kölner Innenstadt. Die Besitzerin, ein „Fräulein Bohrs“, stellte es dem Orden als Stiftung zur Verfügung. Bereits im Dezember 1852 richtete die inzwischen um einige Schwestern gewachsene Ordensgemeinschaft eine Zweigniederlassung in der nahe gelegenen Stolk­ gasse in direkter Nachbarschaft der Lazaristen ein. Beide Standorte wurden von einer eigenen Oberin geführt, die Schwestern betrieben Kinder- horte, Näh- und Handarbeitsschulen und eine Volksschule. Im Glockenring war zudem der Sitz des „Marienvereins“, der junge Mädchen betreute. Mit diesen Einrichtungen übernahmen die Vin- zentinerinnen wichtige soziale und karitative Auf- gaben für die Menschen des Viertels. Ihre ursprüngliche Aufgabe, die Betreuung von Alten und Kranken, leisteten die Vinzentinerin- nen jedoch nicht in ihren Häusern, sondern am- bulant in den Wohnungen der bedürftigen Men- schen. In einer Zeit ohne soziale Absicherungen und professionelle Pflegedienste waren ärmere Menschen auf solche kostenlose Hilfe angewiesen. Gemäß demMotto ihres Ordensgründers Vinzenz von Paul – „Ihr habt als Kloster die Häuser der Kranken“ – besuchten die Ordensleute hilfsbe­ dürftige ältere Menschen und pflegten Kranke zu Hause.

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AM ANFANG STAND E I N POCKENZELT ( 1 852–1 87 1 )

ST. URSULA Ganz in der Nähe der Kirche St. Ursula in

der Innenstadt bezogen die Vinzentinerinnen 1852 ihre erste Kölner Niederlassung (Foto von 1892).

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AM ANFANG STAND E I N POCKENZELT ( 1 852–1 87 1 )

ORDENS SCHWESTERN

Die Töchter der Liebe vom heiligen Vinzenz von Paul

Als Gründer undNamensgeber der Ordens- gemeinschaft und zugleich Begründer der neuzeitlichen „Caritas“ (lat. Nächsten­ liebe, Wohltätigkeit) gilt Vinzenz von Paul, eigentlich Vincent de Paul (1581–1660). Geboren bei Dax in der südfranzösischen Gascogne und im Jahr 1600 zum Priester geweiht, begab er sich nach Abschluss sei- nes Theologiestudiums in Toulouse (1604) auf Wanderschaft. 1605 wurde er von tür­ kischen Piraten gefangen und in Tunis als Sklave verkauft. Nach geglückter Flucht gelangte er 1608 nach Paris, wo er die Not der armen Bevölkerung kennenlernte. Als Priester in Clichy bei Paris, dann lange Jahre als Hauskaplan und -lehrer adliger Familien mit großem Landbesitz begeg- nete er auch der armen Landbevölkerung. Um deren Not zu bekämpfen, scharte er Helfer um sich und gründete 1625 das erste Mutterhaus der Lazaristen, oder Vinzen- tiner, „Saint Lazare“. Hier sorgte man vor allem für „Geisteskranke“ und schwer er- ziehbare Jugendliche, aber auch andere Hilfsbedürftige. 1617, als Pfarrer in Châtil­ lon-les-Dombes bei Lyon, gründete Vin- zenz von Paul eine erste karitative Frauen­ vereinigung, die „Bruderschaft der Damen der christlichen Liebe“ („Confrérie des Dames de la Charité“), die sich um Arme und Kranke kümmerte. Weitere Gemein- schaften von Frauen in verschiedenen Orten folgten. 1625 begegneten sich Vinzenz von Paul und Louise von Marillac (1591–1660). Die in Paris geborene Adelige suchte nach dem Tod ihres Ehemannes einen Seelsorger und fand ihn in Vinzenz von Paul. Später

wurde sie Vinzenz’ engste Mitarbeiterin, 1628 übertrug ihr Vinzenz die Leitung aller weiblichen „Charité“-Gruppen. Ende November 1633 nahm Louise erstmals Mädchen vomLand in ihremPariser Haus auf und unterrichtete sie. Mit dieser Grup- pe junger Frauen betreute sie Waisenkin- der, pflegte Kranke, besuchte Strafgefan- gene und betrieb Suppenküchen für die Armen in Paris. Diese Gemeinschaft war die Keimzelle der von Vinzenz von Paul und Louise vonMarillac gegründeten „Ge- nossenschaft der Töchter der christlichen Liebe vomheiligen Vinzenz von Paul“. Die Tracht bretonischer Landfrauen, beson- ders die Flügelhauben, wurde typisch. Das Besondere dieser Gemeinschaft war, dass die Schwestern kein „ewiges Gelübde“ ablegten wie in anderen Orden. Stattdes- sen gaben sie ein Versprechen ab, das jährlich erneuert wurde. Gemeinsam zo- gen sie von Haus zu Haus, pflegten Kranke und Alte, halfen in den Pariser Hospitä- lern und sorgten sich um Waisen und auch Strafgefangene. „Ihr habt als Kloster die Häuser der Kranken“, so die von Vin- zenz von Paul überlieferte Lebensregel der Schwestern, „als Zelle eine Mietkam- mer, als Kapelle die Pfarrkirche, als Kreuz­ gang die Straßen der Stadt, als Klausur den Gehorsam, als Gitter die Gottesfurcht und als Schleier die heilige Bescheiden- heit.“ Louises Haus wurde Mutterhaus der sich bald weltweit ausbreitenden Ordens- gemeinschaft. Vinzenz von Paul wurde 1737, Louise von Marillac 1934 heilig­ gesprochen. 1960 erhob Papst Johannes XXIII. Louise von Marillac zur Patronin aller karitativ Tätigen.

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DOM OHNE TURM Blick über die Schiffsbrücke: mit dem Rathaus (links), Groß St. Martin (Mitte) und dem noch unvollendeten Dom (rechts) (Chronolithographie von 1864)

E I N ERSTES MUT TERHAUS I N DER E I NTR ACHTSTR AS SE

Das Ursulahäuschen war nur eine Notlösung und auch in der Stolkgasse bei den Lazaristen herrsch- ten keine guten Bedingungen. Für ihre wichtige soziale Arbeit benötigten die Schwestern dringend ein eigenes Haus. Alles wendete sich zum Guten, als Ende 1856 Schwester Maria Swieteczky zur neuen Oberin der Niederlassung an der Stolkgasse berufen wurde. Sie besaß Organisationstalent und Verhandlungsgeschick und sorgte dafür, dass der Orden bald einen kräftigen Aufschwung nahm. Es gelang ihr, Am Alten Graben, der späteren Ein- trachtstraße, ein größeres Grundstück zu erwer- ben. Ob es sich um eine Schenkung oder einen Kauf handelte, ist genauso wenig überliefert wie die näheren Umstände. Nun verfügte der Orden über Bauland, allerdings nicht über Geld für den Bau

Die Vinzentinerinnen gewöhnten sich schnell in Köln ein und wurden Teil der städtischen Gesell- schaft – trotz Rückschlägen: Um 1854/1855 ver­ loren sie das Haus Im Glockenring und mussten nicht nur für sich eine neue Bleibe suchen, son- dern auch Räume für Kinderhort, Schule und Marienverein. Sie kamen im „Ursulahäuschen“ am Ursulaplatz 24, direkt neben der Kirche Sankt Ursula, unter. Dieses ursprünglich als Fruchtspei­ cher, dann lange als Weinlokal „Im Häuschen“ genutzte Gebäude hatte für die Kölner Stadt­ geschichte eine spezielle Bedeutung, denn hier wurde 1822 die Gründung des ersten Karnevals- vereins beschlossen.

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V I NZENZHAUS Das 1864 bezogene Sankt Vinzenzhaus in der Eintracht­ straße, die spätere Keimzelle des städtischen St. Vinzenz-Krankenhauses (Zeichnung von 1863)

Die Bedeutung der ambulanten Krankenpflege wuchs. Allein während des Österreichisch-Preußi­ schen Kriegs imSommer 1866 leisteten 18 Schwes- tern Krankenpflegedienst in den Lazaretten. Die verbliebenen Schwestern hielten währenddessen den Betrieb in der Eintrachtstraße aufrecht.

eines Hauses. Aber Oberin Maria verstand es, innerhalb weniger Jahre mithilfe von Lotterien, Kollekten sowie Werbung um Spenden und Stif- tungen ein beachtliches Kapital anzusammeln. Mit Unterstützung der Lazaristenpatres wurde zudem im Juni 1862 ein „Komitee angesehener Bürger“ einberufen, das die Vinzentinerinnen ebenfalls finanziell unterstützte. Am 19. Juni 1863 konnte schließlich in der Eintrachtstraße der Grundstein gelegt werden, bereits am 26. Juli 1864 bezogen die Vinzentinerinnen ihre neue Nieder- lassung. Dieses Sankt Vinzenzhaus bot ausreichend Platz für die Schwestern und ihre karitativen Aufgaben in der wachsenden Großstadt Köln: Es gab einen Kleinkinderhort, drei Volksschulklassen, eine Handarbeitsschule und den Marienverein für die Betreuung junger Frauen. In einem Seminar bilde- ten die Schwestern den eigenen Nachwuchs aus, in pädagogischen Fragen wie in der ambulanten Krankenpflege.

N I PPES WI RD DEUTSCHES ZENTRUM DER TÖCHTER DER CHR I STL I CHEN L I EBE

Zusätzlich übernahmen die Schwestern die Ver- sorgung chronisch Kranker oder Genesender aus dem Kölner Bürgerhospital, die sie auf ihrer eige- nen Krankenstation unterbrachten. Da die ande- ren karitativen Arbeiten weiterliefen, herrschten im neuen Sankt Vinzenzhaus schon bald reger Betrieb und drangvolle Enge. Im Januar 1868 über- nahmdas „Komitee angesehener Bürger“ das Haus gegen eine Entschädigungszahlung von 30.000 Mark von den Vinzentinerinnen. Nun nahmen verschiedene Entwicklungen ihren Anfang. Das

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GRUNDR I S S Das St. Vinzenzhaus in der Eintrachtstraße war zwar geräumig, aber dennoch herrschte hier bald drangvolle Enge (Zeichnung von 1863).

taucht bereits in Quellen des 16. Jahrhunderts auf. Spätestens auf Landkarten des 18. Jahrhunderts ist das Dorf unter diesem Namen als benachbarte Ansiedlung des Ortes Mauenheim verzeichnet. Richtig ist, dass Schwester Maria ein gut 1,5 Hek­ tar großes Flurstück Ackerland erworben hat, wie aus demEintrag eines Darlehens imGrundstücks- kataster aus dem Frühjahr 1872 hervorgeht. Wer der Verkäufer war und wann genau der Kauf von- statten ging, bleibt aber im Dunkeln. Noch 1869 begann der Bau des Mutterhauses, finanziert mit Mitteln aus der Abtretung des Hau- ses in der Eintrachtstraße, Spenden und Lotterie- gewinnen. Die Grundbucheintragungen zeigen allerdings, dass der Bau ohne Darlehen nicht zu stemmen war. ImMai 1871 war es so weit: Die Vin- zentinerinnen bezogen ihr neues Mutterhaus. Die kurz darauf grassierende Pockenepidemie zwang die Schwestern wenig später zu improvisieren und im Zelt im Garten die Kranken zu versorgen. Dieses erste „Krankenhaus“ in Nippes bestand aber nur wenige Wochen. Denn schließlich waren die Vinzentinerinnen nicht nach Nippes gezogen, um ein Krankenhaus zu betreiben, sondern um die Kinder und Jugendlichen aus dem Arbeiter­ milieu zu betreuen und zu unterrichten, ambu- lante Kranken- und Pflegedienste zu verrichtenund sich, als neues Zentrumder deutschenOrdenspro- vinz, umdie Verwaltung des Ordens zu kümmern. Doch es sollte schon bald ganz anders kommen.

Sankt Vinzenzhaus wurde zur Keimzelle des inner- städtischen „St. Vinzenz-Krankenhauses“, das bis 1978 bestand. An seiner Stelle steht heute das Maternushaus, ein Tagungszentrum des Kölner Erzbistums. Die Kölner Vinzentinerinnen wieder- um erfuhren gleichzeitig eine deutliche Aufwer- tung, als die Pariser Zentrale am 26. Juli 1869 die insgesamt 19 deutschen Niederlassungen des Ordens zur Deutschen Ordensprovinz zusammen- fasste. Oberin Schwester Maria Swieteczky wurde zur Provinzialoberin bzw. Visitatorin bestimmt. Dies gab wohl den letzten Anstoß, einen neuen Standort für das Mutterhaus zu suchen. Es musste groß genug sein für die Ordensgemeinschaft und die neu hinzukommenden administrativen Aufga- ben; vor allem aber musste es Platz bieten für die karitativen und pädagogischen Kerntätigkeiten. Das Mutterhaus musste nicht zwangsläufig in der Innenstadt liegen, denn gerade in den wachsen- den Vororten gab es Bedarf für karitative Arbeit. Warum es die Vinzentinerinnen ausgerechnet nach Nippes verschlug, ist nicht sicher überliefert. Womöglich bat die Kommune oder die Kirchen­ gemeinde umHilfe. Angeblich hatte OberinMaria noch 1869 von einem Kappesbauern (Kappes = Kohl) namens Nipphus ein großes Stück Bauland an der späteren Merheimer Straße günstig erwer- ben können. Dass dieser Bauer Namensgeber des Dorfes Nippes gewesen sei, gehört allerdings ins Reich der Legenden: Die Bezeichnung „Nippes“

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KAPI TEL 2 1871–1918

Krankenpflege zwischen Mutterhaus und Hospital

Als den Vinzentinerinnen 1875 während des „Kulturkampfs“ zwischen dem preußischen Staat und der katholischen Kirche alle Tätig­ keiten jenseits der Krankenpflege verboten werden, widmen sie sich ganz dem Aufbau des Hospitals. Das Krankenversicherungs­ gesetz (1883) setzt weitere Anreize. Das Hos- pital wird Zug um Zug ausgebaut, Trägerin des Hauses wird 1897 die Caritative Vereini- gung GmbH. 1898 wird die Hauskapelle er­ öffnet, 1903 werden moderne Operations­ säle und ein Röntgenzimmer eingerichtet. Mit den Patientenzahlen wächst das Ärzte- team, Spezialabteilungen entstehen. Der Beginn des Ersten Weltkriegs unterbricht die Entwicklung.

KRANKENPFLEGE ZWI SCHEN MUT TERHAUS UND HOSP I TAL ( 1 87 1 –1 9 1 8 )

K I NDERHORT Die Betreuung von Hort- oder Waisenkindern gehörte zu den wichtigsten Werken der Vinzentinerinnen (um 1900).

HOSP I TAL DANK KULTURK AMPF

frauen aus dem wachsenden Industrieort Nippes. In einem eigenen Seminar bildete der Orden sei- nen Nachwuchs aus. Da das Haus zugleich „Zent- ralhaus“ der Vinzentinerinnen war, wurde von hier aus die gesamte deutsche Ordensprovinz ver- waltet. Mitte März 1872 meldete der Orden dem Erz­ bischof Paulus Ludolf Kardinal Melchers, dass „die Einrichtungen im Centralhause der Töchter der christlichen Liebe vom hl. Vinzenz in Nippes nunmehr so vollständig sind, dass die Erziehung der Novizen sowie die Besorgung der Werke der Liebe unbehindert nach den Regeln der Genossen- schaft geschehen“ könne. Die ambulante Kran- kenpflege gehörte sicher zu diesen „Werken“, wird jedoch nicht ausdrücklich erwähnt. Diese Dienste waren wohl schon selbstverständlichmit den Vin- zentinerinnen verbunden.

Damit die Schwestern ihre vielfältigen Aufgaben leisten konnten, hatte der Architekt Kaufmann das neue Mutterhaus, das zugleich „Zentralhaus“ der Vinzentinerinnen war, großzügig gestaltet. Nach der Eröffnung zeigte sich, dass die Planungen richtig waren: 140 Kinder besuchten den Kinder- hort, wie man damals allgemein einen Kinder­ garten nannte, das integrierte Waisenhaus für „verwahrloste Kinder“ nahm sogleich 50 bis 60 Kinder auf. Alle Kinder mussten verpflegt werden, die Hortkinder zumindest mittags durch eine Suppenküche. Die Elementarschule zählte rund 100 Schulkinder, und der Marien- und der Schutz- engelverein waren mit ihren jugendpflegeri- schen Aufgaben ausgelastet. Außerdem gaben die Schwestern Näh- und Kochkurse für Arbeiter-

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KRANKENPFLEGE ZWI SCHEN MUT TERHAUS UND HOSP I TAL ( 1 87 1 –1 9 1 8 )

Für ihre „Krankenanstalt“ benötigten die Vinzen- tinerinnen eine behördliche Genehmigung, die sie wohl Anfang der 1870er Jahre erhielten. Jeden- falls erteilte die Preußische Provinzialregierung in Köln, Abteilung des Inneren mit einem Schrei- ben vom 31. Dezember 1874 dem Orden die Genehmigung, „die daselbst bestehende Privat- Kranken-Anstalt fortzuführen“. Diese Genehmi- gung war wenige Monate später von entscheiden- der Bedeutung für die Zukunft des Kranken­ hauses. Denn während des sogenannten Kultur- kampfs in den 1870er Jahren versuchte der preu- ßische Staat, den Einfluss der katholischen Kirche und ihrer Organisationen zurückzudrängen: Ein am 31. Mai 1875 erlassenes Gesetz verfügte, dass alle geistlichen Orden und ordensähnlichen Kong- regationen in Preußen aufzulösen seien. Eine Ausnahme war nur für Orden vorgesehen, die sich ausschließlich der Krankenpflege widmeten.

Auf Schwester Oberin Maria Swieteczky folgte im Herbst 1872 Schwester Oberin Amalia Stiebor. Sie sollte dem Haus und der Ordensgemeinschaft bis 1905 vorstehen und die eigentliche Gründerin des St. Vinzenz-Hospitals werden. Diese Gründung erfolgte schrittweise: Da es in Nippes kein Kran- kenhaus gab, nahmen die Schwestern immer wie- der Kranke auf und pflegten sie im Mutterhaus. Ärztlich beraten und unterstützt wurden sie an- fangs von Sanitätsrat Dr. Carl Vaasen, „prakti­ scher Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer“ in Nip- pes, seit 1873 von Dr. Franz Pilgram. Als 1874 in Nippes eine Typhusepidemie ausbrach, erkrank- ten auch einige Schwestern und wurden auf der hauseigenen Krankenstation versorgt. Diese wuchs vermutlich wegen der wachsenden Nach- frage und die Schwestern vergrößerten sie weiter. Sie übernahmen selbst die Pflege und holten wei- tere Ärzte hinzu. So entwickelte sich aus der Kran- kenstation immer mehr ein echtes Krankenhaus.

KARD I NAL Erzbischof Paulus Ludolf Kardinal Melchers (1813–1895) war als oberster Kirchenvertreter für die karitativen Einrichtungen verantwortlich.

ERSTER CHEFARZT Der Sanitätsrat und Internist Dr. Franz Pilgram war der erste ärztliche Leiter des St. Vinzenz-Hospitals.

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V I NZENZKLOSTER Die Kranken wurden anfangs in den Räumen des Mutter- hauses (rechts) versorgt, die Klosterkapelle (links) wurde 1898 geweiht (Foto Ende 19. Jahrhundert).

Diese Ausnahme sicherte die Arbeit der Ordens- gemeinschaft in Nippes: Ambulante Krankenpfle- ge war ohnehin eine ihrer wesentlichen Tätigkei- ten und die „Kranken-Anstalt“ in ihrem Nippeser Mutterhaus war bereits behördlich genehmigt. Ihre pädagogischen und jugendpflegerischen Auf- gaben mussten die Vinzentinerinnen jetzt aller- dings aufgeben. Weitere Teile des Mutterhauses integrierten die Schwestern in das Krankenhaus. Aus den Schul- und Kinderhorträumen und dem Waisenhaus wurden Behandlungs- und Patien- tenzimmer. Aus demPockenzelt hatte sich so über die Krankenstation und die Krankenanstalt das St. Vinzenz-Hospital entwickelt.

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KRANKENPFLEGE ZWI SCHEN MUT TERHAUS UND HOSP I TAL ( 1 87 1 –1 9 1 8 )

AUF GESETZL I CHER BAS I S

Über die ersten Jahre des St. Vinzenz-Hospitals ist wenig bekannt. Neben Sanitätsrat und Internist Dr. Pilgram, der auch nach 1875 ärztlicher Leiter blieb, waren mit Dr. Cremer, Dr. Decker und Dr. Curt drei weitere Ärzte tätig, deren Fachge­ biete aber nicht überliefert sind. Dr. Decker soll sich später an der Neusser Straße in Nippes als Armenarzt niedergelassen haben. Wie viele Betten das Krankenhaus hatte, lässt sich nicht rekonstru- ieren. Aber immerhin haben die Schwestern und Ärzte 1875 bereits 175 Patienten versorgt. 1877 erhielten die Vinzentinerinnen in Nippes hohen Besuch: Augusta von Sachsen-Weimar- Eisenach (1811–1890), Ehefrau Kaiser Wilhelms I., Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen, be- sichtigte das Hospital. Die protestantische Mon- archin hatte sich für die katholischen Orden ein- gesetzt und die strengen Bestimmungen des Kulturkampfs abgelehnt. Die Ausnahmeregelung für die Orden, die Krankenpflege betrieben, war wohl ihr zu verdanken. Sie drängte den Kaiser und vor allem Reichskanzler Bismarck zu weite- ren Lockerungen, um auch die Erziehungstätigkeit katholischer Orden zu ermöglichen. Dies nutzten die Vinzentinerinnen in Nippes und eröffneten bereits 1882 wieder zwei Kindergärten: einen im Zentralhaus und einen weiteren in der Sechzig­ straße. Im Zentralhaus war also noch Platz für einen Kindergarten. Das sollte sich bald ändern. Der Auslöser war das Gesetz „betreffend der Kran- kenversicherung der Arbeiter“ vom 15. Juni 1883, das am 1. Dezember 1884 in Kraft trat und als erste Sozialversicherung weltweit gilt. Alle Arbeiter und Angestellten in fester Anstellung waren nun ver­ sicherungspflichtig, die Beiträge trugen zu je 2/3 die Arbeitnehmer und zu 1/3 die Arbeitgeber. Die Versicherung übernahm die Kosten für ein Kran- kengeld, ärztliche Behandlung, Arzneimittel – und die Kosten eines Krankenhausaufenthalts. Versi­ cherungsträger waren die Krankenkassen, die zum Teil schon bestanden und nun „gesetzliche“ Kran- kenkassenwurden. Darunter waren viele Innungs- krankenkassen der Handwerker, aber zumgrößten Teil Ortskrankenkassen, die jetzt überall gegrün­ det wurden.

DENKMAL Feierliche Einweihung des Denkmals für Kaiserin Augusta auf dem Kaiser-Wilhelm-Ring (1903)

STADTB I LD Das Diplom zur Verleihung des Ehrenbürgerrechts an Fürst Bismarck wurde nicht ausgefertigt. Der Künstler sieht den Dom bereits mit Türmen (Aquarell von 1875).

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Das Krankenversicherungsgesetz stellte die Kran- kenpflege auf eine neue Basis. Endlich konnten sich viele Menschen eine angemessene ärztliche Behandlung und einen Krankenhausaufenthalt leisten, Ärzte und Krankenhäuser erhielten feste Vergütungen. Dies machte sich im St. Vinzenz- Hospital mit kräftigem Andrang bemerkbar: Die Zahl der jährlich stationär versorgten Patienten verdoppelte sich von 175 im Jahr 1875 auf rund 360 im Jahr 1885, zu Beginn der 1890er Jahre sollten es bereits rund 600 sein. Dafür standen nun rund 140 Betten zur Verfügung. Umdie Patienten unter- bringen zu können, erweiterten die Schwestern das Zentralhaus 1885 um einen Anbau im Süden, den sogenannten Herrenflügel. 1889/1890 folgte ein Anbau im Norden, der offenbar vor allem für Privatpatienten genutzt wurde, gleichzeitig erhielt der gesamte Bau eine Zentralheizung. Um diese Zeit zählte Nippes bereits rund 16.500 Einwohner und gehörte seit zwei Jahren zur Stadt Köln. Die Straße vor dem Krankenhaus wurde 1891 in Mer- heimer Straße umbenannt, zuvor war die Adresse provisorisch: Hospital der Schwestern vom heil. Vinzenz v. Paul in Nippes, Hospitalstraße 1. NEUER R AHMEN : D I E CAR I TAT I VE VERE I N I GUNG Wie die Vinzentinerinnen das Geld für die Bauten aufbrachten, ist schwer zu ermitteln. Viele Schwes- tern hafteten mit ihrem Privatvermögen, manche vererbten demOrden Geld oder stifteten im Kran- kenhaus ein sogenanntes Freibett. Überliefert sind einige Auseinandersetzungen oder Unklarheiten zwischen den Familienangehörigen der Schwes- tern und dem Orden. So hatte zum Beispiel eine Ende 1884 verstorbene Schwester dem Orden ihr gesamtes Vermögen vermacht, einschließlich der Stiftung eines Freibetts in Höhe von 6.000 Mark. Zwei Jahre später meldete sich dann ein Schwager, weil die Verstorbene angeblich seine Tochter als Universalerbin eingesetzt habe. Später stellte sich aber heraus, dass die Schwester „alle Zuwendun- gen zu dieser Familie eingestellt“ hatte, als sie er- fahren hatte, dass ihr Schwager Protestant war. Neben dem Ausbau und Betrieb des Hospitals mussten auch dasMutter-/Zentralhaus und die An- liegen des Ordens finanziert werden. Am 15. Au- gust 1896 begannen an der Südseite des Mutter- hauses die Arbeiten für den Anbau einer großen Kapelle für Schwestern, Patienten und Mitarbei-

ter. Dafür nahm der Orden bei der Landesbank ein Darlehen in Höhe von 100.000 Mark auf, der eigene Grund und Boden diente als Sicherheit. Da weder die Schwestern noch der Orden persönlich haften konnten, benötigten die Vinzentinerinnen eine grundbuchfähige Rechtsperson, die Finanz- geschäfte abwickeln und als Träger des Hospitals auftreten und handeln konnte. Das war die Geburtsstunde der Caritativen Verei- nigung GmbH, Köln-Nippes, die am 9. Januar 1897 notariell gegründet wurde. Gesellschafterinnen waren die Schwestern Franziska (bürgerlich Fran- ziska Riehen), Bernardine (Gertrudis Martini), Mechthildis (Ludovika Kratz), Basilia (Mathilde Stuhrmann), Augusta (Anna Maria Zander) sowie Vincentia (Auguste Melcher). Das Stammkapital der Gesellschaft betrug 20.000 Mark, Schwester Mechthildis war zur Geschäftsführerin bestellt (Schwester Mechthildis, Ludovika Kratz, wurde 1905 auch Oberin). Die Gesellschaft sollte sich um die „Aufnahme und Pflege armer Kranken, ob- dachloser und verwahrloster Kinder und über- haupt Förderung aller Wohltätigkeitsbestrebun- gen“ kümmern und erinnerte damit an die ur- sprünglichen Aufgaben der Vinzentinerinnen. Im März 1900 erhielt die Vereinigung vom Finanz­ ministerium die Anerkennung als „Milde Stif- tung“, wodurch sie von Gerichtskosten, Stempel- steuern und Erbschaftssteuer befreit war. Als die Krankenhauskapelle im neugotischen Stil 1898 geweiht wurde, wurden wieder Räume für Kranke frei. Die Schwestern betrieben weiter den Ausbau und die Modernisierung ihres Hospitals, denn die Ansprüche an Krankenpflege und Kran- kenhausbetrieb stiegen.

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MODERNE MED I Z I N

Röntgenstrahlen, Anästhesie und Chirurgie

Die Entdeckung der Röntgenstrahlen 1895 durch Wilhelm Conrad Röntgen (1845– 1923) war eine Revolution für die medi­ zinische Diagnostik. Knochenbrüche, Fremdkörper sowie Gallen- oder Nieren- steinbildungen konnten leicht erkannt werden. Mit der Einführung von Kontrast- mitteln im Jahr 1904 wurde es dann mög- lich, auch Erkrankungen der sogenann- ten „Hohlorgane“ wie Magen oder Blase darzustellen. Diese „internistische Rönt- genphotographie“ war von moderner Bild­ gebung allerdings noch weit entfernt, u.a. wegen der sehr langen Belichtungszeiten. Die Röntgentechnik erlaubte dank ver- besserter Diagnostik eine moderne Chir- urgie. Die „Anästhesie“ zur Betäubung hatte sich allerdings seit dem 19. Jahr­ hundert kaum geändert: Man nutzte Chloroform oder Äther, die eingeatmet werden mussten, oder, bei Lokalanästhe- sie, kokainhaltige Lösungen, die um das Operationsgebiet herum injiziert wurden. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts verbes- serten sich die Verfahren der Anästhesie. So konnten durch die genauere Dosierung der Anästhetika Nebenwirkungen und Narkosefehler reduziert werden. Im St. Vinzenz-Hospital führte Dr. Dreesmann allein 1911 rund 670 größere Operationen unter Vollnarkose durch. Die zahlreichen kleineren Eingriffe unter Lokalanästhesie wurden in der Statistik nicht aufgeführt.

CH I RURGI E Professor Dr. Heinrich Dreesmann führte die Chirurgie im St. Vinzenz-Hospital ein.

MI T CH I RURG I E ZUM VOLLWERT I GEN KR ANKENHAUS

Im Jahr 1900 versorgten Ärzte und Schwestern des Hospitals 780 Patienten, 1905 sollten es rund 1.400 sein, fünf Jahre später bereits über 1.800. Ver- brachten die Patienten um 1900 durchschnittlich 50 Tage im Hospital, sank die Verweildauer bis 1910 auf vier Wochen. Angesichts der steigenden Patientenzahl erstaunt die Entwicklung der Bet- tenzahlen: Sie sank zwischen 1902 bis 1910 von 220 auf 204. 1905 standen mit 120 Betten sogar weni- ger zur Verfügung als in den Anfangsjahren. Mög- licherweise sind die Zahlen nicht korrekt überlie- fert, zugleich könnte der Tiefstand um 1905 mit tiefgreifenden Veränderungen und Modernisie- rungen jener Jahre zusammenhängen. Bis zur Jahrhundertwende hatte man vor allem innere Erkrankungen behandelt und kaumchirur­ gische Eingriffe vorgenommen. Dafür fehlten die medizinischen Einrichtungen und das Fachper- sonal. Das änderte sich 1903, als mehrere Opera­ tionsräume und ein Röntgenzimmer eingerichtet wurden. Die Leitung der chirurgischen Abteilung übernahm Professor Dr. Heinrich Dreesmann, Chirurg und ärztlicher Leiter des Vinzenzhauses in der Kölner Eintrachtstraße.

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BÜRGERHOSP I TAL Das in den 1840er Jahren erbaute Bürgerhospital an der Cäcilienstraße nahe des Neumarkts war um 1900 das größte Krankenhaus der Stadt (Foto von 1907).

Durch einen Zwischenbau konnte später die Kin- derstation vergrößert werden. Dieser Bereich hatte eine Veranda, so dass die kranken Kinder auch an die frische Luft gebracht werden konnten. Die Investitionen finanzierte der Orden bzw. die Caritative Vereinigung in der Regel mit Darlehen, für die der Grundbesitz belastet wurde. Zwischen 1901 und 1908 summierten sich die Belastungen auf mehrere hunderttausend Mark. Die Tilgung war jedoch langwierig. Immerhin erhielt der Or- den immer wieder Schenkungen oder Stiftungen. ZudemführtendieVinzentinerinnen„Hauskollek­ ten“ zur „Förderung ihrer Wohltätigkeitsanstal- ten“ durch. Die alljährlichen Sammlungen brach- ten am meisten Geld ein, wenn der Erzbischof für das Anliegen warb. „Zu ganz besonderem Dank würde sich die Schwesternschaft verpflichtet füh- len“, schrieb Oberin Amalie Stiebor am 18. Mai 1903 an den Erzbischof, „wenn Ewr. Erzbischöfl. Gnaden geruhen wollte, diese Collecte durch die nächste Nummer des kirchlichen Anzeigers der hochwürdigen Geistlichkeit zur Kenntnis zu brin- gen und dieselbe der Mildthätigkeit der Gläubigen zu empfehlen.“

Mit der moderneren medizintechnischen Ein- richtung verstärkte sich die Spezialisierung: Hatte es zuvor bereits einen Facharzt für Augenleiden gegeben, kamen nun ein Hals-, Nasen- und Oh- renarzt sowie ein Facharzt für Haut- und Ge- schlechtskrankheiten hinzu. Die neue chirurgi- sche Abteilung versorgte auch Unfallpatienten. Das Hospital war spätestens ab 1905 fester Stand- ort von einem der beiden Nippeser Kranken­ wagen: das waren mit einer Plane überdeckte Handkarren, die die Feuerwehr betrieb. Der Krankentransport kostete zwei Mark und musste, außer bei Unfällen, vom Arzt angeordnet werden. Das Kölner Adressbuch vermerkt bereits für das Jahr 1902 unter der Adresse Merheimer Str. 217, „Krankenhaus“, eine „Krankenwagen-Meldesta­ tion“ sowie eine „Rettungswache d. Zweigvereins vom Rothen Kreuz“. HOHE I NVEST I T IONEN UND KNAPPE PFLEGESÄTZE Da der Bedarf an medizinischer Versorgung wuchs, investierten die Schwestern weiter kräftig in die Vergrößerung und Modernisierung des Hospitals. 1906/1907 entstand ein größerer Anbau für moderne Badeeinrichtungen und Toiletten, Personen- und Speiseaufzüge sowie Teeküchen.

Der Krankenhausbetrieb sollte im Wesentlichen durch die Pflegesätze gedeckt werden. Abgesehen

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von einigen Freibetten, die das Hospital „unbe- mittelten“ Kranken zur Verfügung stellte, gab es damals drei bzw. vier Pflegeklassen – I., IIa. und IIb., sowie III. –, außerdem einen gesonderten Pflegesatz für Kinder. Der Tagessatz für Kinder und für Patienten III. Klasse betrug 1905 eine bzw. zwei Mark. Darin inbegriffen waren auch die Arzt­ kosten. Die Sätze für die Klassen IIa., IIb. und I., Privatpatienten, betrugen drei, vier und sechs Mark, allerdings exklusive der Arztkosten, die zu- sätzlich berechnet wurden. Während die Sätze für die ersten beiden Klassen die Kostenwohl deckten, waren die Sätze für die III. Klasse kaum ausrei- chend. Das Hospital klagte 1912 in einem Rück- blick, der Pflegesatz würde „bei weitem die Unkos­ ten für Verpflegung undBehandlung der Patienten (Medikamente, Verbandsstoff, Röntgen-Apparat, Ärztehonorar)“ nicht decken. Da die Mehrheit der Patienten zum Pflegesatz der III. Klasse versorgt wurde, drohten finanzielle Probleme. 1911 zum Beispiel wurden (neben eini- gen Nutzern von Freistellen) knapp 1.900 „Selbst- zahler“ versorgt, davon allein 1.750 zumPflegesatz der III. und nur 20 zum Pflegesatz der I. Klasse. Die Bilanz für das Geschäftsjahr 1911 wies ein kräftiges Minus auf, was nicht nur an den Pflege- sätzen lag. Das Hospital hatte als „Privatanstalt“ einen entscheidenden Nachteil gegenüber den städtischen Häusern, beispielsweise dem Kölner „Bürgerhospital“. Die städtischen Krankenanstal- ten kämpften zwar auch mit den knapp bemesse- nen Pflegesätzen. Aber während sie „in der glück- lichen Lage“ waren, „das Defizit durch Zuschüsse aus den Steuererträgnissen zu decken“, wie die Schwestern bemerkten, „sehen sich die Privatan- stalten andauernd gezwungen, die Wohltätigkeit der Mitbürger in Anspruch zu nehmen.“

GROS SE PL ÄNE

Die Modernisierung des Krankenhauses ging zü- gig voran – ab 1911 unter der ärztlichen Leitung von Dr. Dreesmann, der Dr. Pilgram nach mehr als 40-jähriger Tätigkeit für das Hospital abgelöst hatte. Neuer Leiter der Inneren Abteilung wurde Dr. Wolter, die Fachärzte Dr. Brauner (HNO) und Dr. Thelen (Haut- und Geschlechtskrankheiten) bekamen mit Augenarzt Dr. Kreuzberg einen wei- teren Kollegen. Hinzu kamen (Stand 1912) acht Assistenzärzte sowie neun Praktikanten, die das Hospital seit 1907 ausbilden durfte. Außerdem gab es einen gewählten Ausschuss, der die Krankenhausleitung und die Genossenschaft sachkundig beriet und sich (1912) aus den leiten- den Ärzten des Hospitals sowie Pfarrer Rossellen, Bürgermeister Dr. Krautwig, Stadtbauinspektor Kleefisch, dem Stadtrat Auer und dem Ökonomie- rat Contzen zusammensetzte. Die Pflege lag kom- plett in der Hand der Vinzentinerinnen. Neben den rund 30 Schwestern, vermutlich rund ein Drit- tel des Nippeser Ordens, kümmerten sich noch zwei Krankenpfleger um die Patienten. Die tägli­ che Regelarbeitszeit betrug 10 Stunden, aber im- merhin stand allen ein jährlicher 10- bis 14-tägi- ger Urlaub zu. Zunehmend erwies es sich als problematisch, dass das Mutterhaus des Ordens und das Hospital sich nach wie vor unter einemDach befanden und die Vinzentinerinnen von ihrem Zentralhaus aus nicht nur das Hospital, sondern die gesamte

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LAZARET T Die im Kolpinghaus in der Kölner Innenstadt untergebrachten Verwundeten wurden von Ordens- schwestern (Cellitinnen) versorgt.

deutsche Ordensprovinz mit all ihren karitativen Einrichtungen verwalteten. Die Anforderungen imHospital wuchsen unterdessen mit den Patien- tenzahlen in medizinischer und insbesondere in hygienischer Hinsicht. Daher plante der Orden 1914 den kompletten Neubau des Hospitals. Doch der Beginn des Ersten Weltkriegs am 1. August 1914 machte alle Planungen zunichte. Über den Hospitalalltag während der Kriegszeit ist nur wenig überliefert: Die Schwestern mussten Räume an das Krankenhaus abgeben, die Zahl der Patienten mit Kriegsverletzungen stieg. Mit

340 Betten erreichte das Hospital mitten im Krieg einen Höchststand. Es herrschten die Regeln der Kriegswirtschaft – auch bis über das Kriegsende im November 1918 hinaus. So sah ein vom 1. Januar 1917 bis zum1. Januar 1920 geltender „Hospitalver­ pflegungsvertrag“ zwischen den Privatkranken- anstalten und den Krankenkassen einen pauscha­ len Pflegesatz von drei Mark vor. 30 Schwestern leisteten Pflegedienste in Feldlazaretten: 18 in Frankreich, 12 in Palästina. Eine Schwester starb in Damaskus an Malaria. Nach Kriegsende 1918 sollten die Schwestern und das Hospital vor gro- ßen Veränderungen und Umwälzungen stehen.

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KAPI TEL 3 1919–1949

Das „modernste Krankenhaus des Rheinlands“ in unruhigen Zeiten

Nach dem Krieg behindern die schwierige Wirtschaftslage und der Verfall der Währung die Entwicklung des Hospitals. 1925 eröffnen die Vinzentinerinnen eine neuartige Kranken- pflegeschule für Schülerinnen außerhalb des Ordens. Ein Meilenstein ist der Neubau, der im Januar 1928 eröffnet wird. Das Hospital gilt damit in seiner Ausführung und seinen technischen Einrichtungen als das modernste des Rheinlands. Während der NS-Zeit steht der Orden unter Beobachtung des Regimes, ein Teil des Hospitals wird zum Lazarett um- gewandelt. Während des Zweiten Weltkriegs und trotz widriger Umstände in Kriegs- und Nachkriegszeit geht der Betrieb ununter­ brochen weiter.

DAS „MODERNSTE KRANKENHAUS DES RHE I NL ANDS“ I N UNRUH I GEN ZE I TEN ( 1 9 1 9–1 949 )

BR I T I SCHE BESATZUNG Nach dem Ersten Weltkrieg war Köln von britischen Truppen besetzt, einige Soldaten erkundeten die Stadt und den Dom im Kilt.

ST I LLSTAND I N DEN NACHKR I EGS JAHREN

ersten Jahre der Republik von politischenUnruhen überschattet und der rasante Währungsverfall verhinderte eine nachhaltige Belebung der Wirt- schaft. Das St. Vinzenz-Hospital litt ebenfalls da- runter. Das Krankenhaus kehrte nach Kriegsende rasch zum Friedensbetrieb zurück – mit durchschnitt- lich 200 Krankenbetten Anfang der 1920er Jahre. Inzwischen waren Leitung und Verwaltung von Ordensprovinz und Hospital personell getrennt. DemHospital stand eine Oberin vor, zunächst von 1920 bis 1935 Schwester Everharda. Was wurde nun aus den Neubauplänen, die seit 1914 in der Schub- lade lagen? Die finanzielle Situation verschlech- terte sich durch eine immer rasantere Geldent- wertung. Schon 1920 hatten sich die Pflegesätze mit 23 bis 50 Mark pro Tag gegenüber 1917/1918 bereits verdreifacht. Im September 1920 bat das

Mit dem Krieg endete im November 1918 auch das Deutsche Kaiserreich, 1919 wurde Deutschland zur Republik. In Köln marschierten bereits imDezem- ber 1918 britische Besatzungstruppen ein, die bis 1926 bleiben sollten. Die Stadt wurde entmilitari- siert und der Festungsgürtel geschleift. Aus dem vorgelagerten Festungsbereich, der die Innenstadt auch von Nippes trennte, wurde dank Kölns Ober- bürgermeister Konrad Adenauer der Grüngürtel – eine weitläufige innerstädtische Parkfläche. Die Weimarer Republik brachte sozialpolitische Errungenschaften, wie das Frauenwahlrecht, den Acht-Stunden-Tag und das Betriebsrätegesetz. Auch das öffentliche Gesundheitswesen wurde modernisiert und ausgebaut. Allerdings waren die

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